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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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hatte zum Beispiel, oder manchmal am Anfang der Regel. Dann döste sie die meiste Zeit, und Fieber oder Schmerzen verhinderten, daß sie in ein noch tieferes Loch fiel, in Panik geriet, daß die Depressionen voll durchschlagen konnten. Jetzt hat sie unglaubliche fünf Wochen durchgehalten, und es gab viele glückliche, leichte Momente darunter, Spaß und Ausgelassenheit, beim Motorradfahren oder Tanzen etwa, Monikas großer Leidenschaft, es gab Frieden und Innigkeit, wenn die Sonne nur für sie langsam ins Meer abtauchte, wunderbar kitschig, wunderbar unbeeindruckt vom menschlichen Gewusel. Auch beim Alkohol hat sie sich ganz selbstverständlich zurückgehalten, obwohl Philipp sich fest vorgenommen hatte, sie nicht zur Abstinenz zu drängen, schließlich war das Experiment no drugs Herausforderung genug.
    Schlimm waren zumeist die Nächte, die Träume, das Aufschrecken, die Schlaflosigkeit, der Jetlag hatte wenig damit zu tun. In Philipps Armen und so viele tausend Kilometer von Käfig und Hamsterrad, von Incognito und Vera entfernt lösten sich die Krämpfe, die Anspannung, alles durfte, mußte sich einen Weg an die Oberfläche ihres Denkens und Fühlens bahnen, brach auf, aus. Dann saßen sie um drei in der Früh nackt in ihrem Zimmer, rauchten eine Zigarette nach der anderen, redeten, schwiegen, er streichelte sie, sie reagierte nicht darauf, er streichelte sie nicht, sie sehnte sich nach einer Berührung.
    Wie sollte unter solchen Voraussetzungen geglückte Sexualität möglich sein? Wahrscheinlich gerade deswegen. Denn Monika mußte dreiundzwanzig werden, um jenseits vorübergehend bester Freundinnen im Berufsumfeld auf einen Menschen zu stoßen, der Anteil nahm, mit ihr litt, nicht einfach Gebrauch von ihr machte. In Thailand, wo sie mit Philipp zum ersten Mal wochenlang unter einem Dach zubrachte, erlebte sie diese Zuwendung so intensiv, daß sie sich allmählich vorzustellen erlaubte, vielleicht doch mehr zu sein als niemand und nichts.
    Sein Mit-Leiden hatte nichts mit Barmherzigkeit zu tun, und das war gut so. Weder gab er den unantastbar Starken, der Bäume auszureißen drohte und nebenbei einem schwachen Weib die breite Schulter zum Anlehnen hinhielt, noch stellte er seine eigenen Bedürfnisse völlig zurück, um im selbstlosen Dienst an der vom Schicksal Gebeutelten aufzugehen.
    Philipp machte ihr Körper gewaltig an, er konnte sie riechen, mochte sich in ihren Achselhöhlen verkriechen und jeden Quadratzentimeter Haut einsaugen, mit der Zungenspitze abtasten, er wollte sie öffnen, öffnen für alles, was, wie er annahm, untergegangen war, untergehen mußte während der Jahre im Profigeschäft. Aber es war nichts untergegangen, weil vorher nie etwas aufgetaucht war, weil Monika mit zehn schon angefangen hatte, ihren Körper als Objekt, als fremd, als Fremdkörper wahrzunehmen und niemand ihn ihr näher brachte. Sie gab Philipp, was sie geben konnte, das war nicht wenig, aber es geschah mehr aus Dankbarkeit, aus Zuneigung als aus Geilheit, und er gab sich damit zufrieden, weil er sie liebgewonnen hatte. Nie zuvor hatte ein Mann sich so um ihre Lust bemüht, spürte Monika, und tatsächlich gelang es ihr phasenweise, sich vorzusagen, das hier habe nichts mit all dem zu tun, was durch fünf Jahre ihr Job war, und sie konnte loslassen und abheben, und es war nicht nötig, ihm etwas vorzuspielen. Sein Wunsch, ihren Orgasmus zu erleben, hatte auch mit Ehrgeiz zu tun, mußte er sich eingestehen, aber mehr als sich wollte er ihr etwas beweisen, und er bewies es ihr.
    Er möchte mit ihr leben. Zieh zu mir, sagt er auf dem Rückflug, fang neu an, fangen wir beide neu an. Am Tag vor dem Heiligen Abend landen sie in Wien, drei Tage später steigt in Khao Lak das Meer aus dem Meer und holt sich Tausende. Sie hätten ohne weiteres dabei sein können, es wäre ein stimmiges Ende gewesen. Stattdessen aber beschließen sie, neu anzufangen. Nur so, wie Philipp sich das ausmalt, wird es sich nicht abspielen.
    In Wahrheit ist es nämlich vor allem Monika, die völlig neu anfangen müßte: Rückkehr ins fremde bürgerliche Leben, was heißt Rückkehr, samt Einübung in eine ihr fremde, von wechselseitigem Respekt getragene Zweierbeziehung mit einem Mann, der sie fordert, was ihr ebenfalls fremd ist. Übersiedlung in ein fremdes Land, eine fremde, unübersichtliche Großstadt, Abkehr von den Drogen, Aufbruch zu fremd gewordenen Bewältigungsstrategien für den Alltag, Kurse, womöglich eine Berufsausbildung, das alles in

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