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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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ohne ein wirkliches Ziel vor Augen. Wie ernst war ihm die Aussteigerkarriere hier am Bilderbuchstrand? Mehr als eine Verlegenheitslösung? Mehr als ein Fortlaufen?
    Einerseits wünscht er sich nichts sehnlicher, als endlich den Kopf frei zu haben. Hier und jetzt im ewigen Sommer möchte er zur Ruhe kommen, endlos aufs offene Meer hinausschauen und langsam, wirklich langsam Ordnung in sein Leben bringen, wie er es sich ursprünglich vorgenommen hat, vor allem ohne lähmendes Beziehungswirrwarr. Andererseits wird ihm ganz heiß dabei, wenn er sich vor Augen führt, deshalb vielleicht die große Gelegenheit verstreichen zu lassen, in ihr, mit ihr zu finden, was ihm abgeht, indem er morgen per SMS feige bekennt, was er Monika nicht ins Gesicht zu sagen wagte: Bleibe sechs Monate. Vielleicht länger. Sorry and good luck.
    Und was, spinnt er seine Gedanken weiter, als er spätabends ganz und gar nicht relaxed aus der Dusche tritt, und was, wenn ihr eine solche SMS -Hiobsbotschaft den Rest gibt, wenn sie Schluß macht mit sich, gezielt oder einfach dadurch, daß sie sich endgültig aufgibt? Nein, er wird sich keine Verantwortung in die Schuhe schieben lassen, die er nie übernommen hat. Er hat ihr schließlich nichts versprochen, gar nichts. Er wälzt sich von einer Seite auf die andere und gesteht sich ein, daß er nicht der Typ dazu ist, sich die Hände lässig in Unschuld zu waschen. Schließlich gibt er sich geschlagen, obwohl ihm nicht recht klar ist, ob gegen Monika oder sich selbst. Mit beträchtlichem finanziellen Aufwand bucht er nach bloß sechs Tagen Aufenthalt um, bricht die Zelte ab, setzt sich ins nächste Flugzeug nach Wien und steht tags darauf vor Monikas neuer Wohnungstür.
    Sie soll den Club Club sein lassen, meint er, und ihm ein Urlaubsziel vorschlagen, er möchte es gern länger als einen Tag mit ihr ausprobieren. Da wird es sich schnell herausstellen, hofft er, aber auf einen Ausgang in die eine oder andere Richtung, hop oder drop, hofft er nicht. Alles ist in Schwebe, ein merkwürdiger Zustand ist das. Sie vermeiden es beide, auch nur ein Wort über eine gemeinsame Zukunft zu verlieren. Sie haben beide abwechselnd Zeichen gesetzt, die sie einander nähergebracht haben, spontan eher als kalkuliert, doch sind sie beide zu vorsichtig, zu unsicher, zu skeptisch, zu verwundet, um sich vorbehaltlos aufeinander einzulassen.
    Wie stellst du dir das vor, den Club Club sein lassen? fragt Monika mit heftigem Unterton. Das ist mein Arbeitsplatz, die Leute dort sind meine Familie. Familie sagt sie, wieder so ein Detail, das Philipp anrührt. Ich war vor kurzem in London, ich kann nicht schon wieder weg, da wird der Chef sagen, wenn das so ist, brauchst du gar nicht mehr kommen. Dann geh halt nicht mehr hin, spricht es aus Philipp, und gleichzeitig weiß er, eine Riesenverantwortung würde er sich aufbürden, wenn sie es wirklich täte.
    Sie ist noch immer ganz von den Socken, aufgewühlt, wirr vor Freude und ungläubigem Staunen: Gut, sie hat ihn per Handy mehrmals angebettelt, bald zurückzukommen, wie eine Zigeunerin eben zu betteln gelernt hat. Daß er jetzt aber leibhaftig dasitzt, daß er verrückt genug war, den Traumurlaub in einem fernen Land, von dem sie sich zwar keine rechte Vorstellung machen kann, einfach Urlaub sein zu lassen, zurückzujetten, um im nebeligen Herbst hier in diesem Provinznest einem Nichts und Niemand wie ihr zu verstehen zu geben, sie allein sei die Ursache für diese Verrücktheit, das will ihr nicht in den Schädel gehen. Und wie ihr neulich erst im nachhinein richtig bewußt wurde, daß sie ihn vor all den Leuten leidenschaftlich geküßt hatte, sagt sie diesmal zu, bevor sie sich dazu entschließt. Es dreht sich alles. Ich möchte einmal das Meer sehen, sagt sie leise, ich habe noch nie das Meer gesehen. Auch Philipp hat sich noch nicht ganz von dem Schrecken erholt, ihr so unmißverständlich vorgeschlagen zu haben, das Incognito ganz hinter sich zu lassen. Dann fahren wir doch nach Italien, sagt er.
    Venedig ist zwar nicht ausgestorben, aber die herbstliche Hochnebeldecke und die autolose Ruhe in den Gassen abseits der Touristentrampelpfade versetzen die beiden in eine andere Welt, Entschleunigung heißt das wohl im Newspeak. Über allem hängt eine Prise Melancholie. Apropos Prise: Monika hat tatsächlich kein Körnchen Speed eingepackt, und das macht ihr mehr zu schaffen, als sie zugeben will. Sie bemüht sich, und Philipp merkt, wie sehr sie sich bemüht. Großartig ist

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