Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
Vom Netzwerk:
sie, denkt er. In einer kleinen Trattoria unweit San Pietro ganz im Osten der Stadt fällt Monika beim Eintreten ein Kunstdruck an der gemusterten Tapetenwand ins Auge, das Bildnis einer traurigen jungen Frau. Ganz eingenommen steht sie minutenlang davor, und sie beginnt ihm beim Essen trotz aller sprachlichen Mühen von ihrer großen Traurigkeit zu erzählen.
    Es ist diese Szene, die in Philipp die letzten Widerstandsdämme brechen läßt. Ihm steht das Wasser in den Augen, und gleichzeitig steigt das wohlige Gefühl in ihm auf, gefunden zu haben, was er nicht suchen wollte. Wie lieb ich sie habe. Später im Hotel liegt er auf dem Bett und blättert im DuMont, als Monika aus dem Bad tritt. Er erkennt sie kaum, denn sie hat sich alles aus dem Gesicht gespachtelt, steht zum ersten Mal ungeschminkt vor ihm und lächelt.
    Ernsthaft spielt er ab diesem Moment mit dem Gedanken, sie noch vor Weihnachten an der Hotelbar in Khao Lak zum Longdrink einzuladen, wie er es sich gewünscht hat. Er hat sich verliebt, Hals über Kopf, auch wenn es zwei Monate gedauert hat, gegen alle Vernunft, aber wer hat sich je vernünftig verliebt? Ein weiterer Thailand-Anlauf wäre übrigens, kalkuliert er, keineswegs eine reine Tollheit: Wer dort nämlich mit Drogen erwischt wird, wandert, so heißt es, lange Jahre ins Gefängnis, und so lädt er Monika am nächsten Tag, als sie draußen am Lido begeistert Muscheln sammelt, nicht einfach ein, sondern macht ihr gleichzeitig klar, daß sie es schaffen müßte, fünf Wochen clean zu bleiben, er werde ihr beistehen, wenn es ihr schlecht ginge, aber vielleicht wirke die Umgebung ja Wunder, und ihr unbändiger Wille.
    Weißt du, was der machen wird mit dir, ereifert sich Vera, als Monika zurück ist und ihr erzählt, in zwei Wochen werde sie nach Thailand fliegen, der wird dich dort verkaufen oder für sich arbeiten lassen, da bin ich mir tausendprozentig sicher. Wo hat man denn sowas schon gehört? Ausgerechnet auf dich wird der gewartet haben und dir die Welt zu Füßen legen, mach dich doch nicht lächerlich. Was sie sagt, glaubt Vera allerdings nur zu fünfhundert Prozent, die andere Hälfte, sie würde es zwar bestreiten, hat mehr mit ihrer eigenen Angst zu tun, die beste Freundin zu verlieren, und ein Quentchen Eifersucht spielt wohl auch mit.
    Bei Monika trifft sie damit freilich einen wunden Punkt, denn ihre eigenen Zweifel wachsen von Tag zu Tag. Wie sehr sie auch nachforscht in sich, sie kann nichts finden, was ihr sein Verhalten begreifbar machen würde. Da muß doch etwas anderes dahinterstecken, wie fast immer etwas anderes dahintersteckte, wenn sich jemand scheinbar um sie bemühte. Je näher der Tag kommt, an dem es so weit sein soll, desto desparater wird sie, und die Frau, die er an einem unwirklich klaren, sonnendurchfluteten Morgen abholt, ist bis obenhin vollgepumpt mit Speed und schwer betrunken, kichert blöd, fuchtelt herum mit den Armen, schimpft wüst, redet wirres Zeug. Obwohl es klirrend kalt ist und der Schnee fast einen halben Meter hoch liegt, weigert sie sich kategorisch, einen Mantel anzuziehen und warmes Schuhwerk. In Wien schläft sie gleich vierundzwanzig Stunden am Stück, und als sie zum Flughafen aufbrechen, schaut sie aus der Wäsche wie ein Junkie im Endstadium.
    Doch als sie nach einem guten Monat Thailand wieder verlassen, weiß Philipp, was in Monika steckt. Eine Selbstdisziplin hat diese gepeinigte, diese verstörte, diese zähe, diese faszinierende Frau, Hut ab. Die ist ihr übrigens, auch wenn es zwischendurch vielleicht nicht so ausgesehen haben mag, trotz allem nie gänzlich abhanden gekommen. Es ist ja nur eine Seite der Medaille, daß sie ohne Speed praktisch nicht mehr existieren konnte. Oft genug hätte sie Gelegenheit gehabt, sich etwa auf Heroin einzulassen, aber sie hat es sich konsequent verweigert, wie sie jedes noch so lukrative Angebot ausgeschlagen hat, es ohne Gummi zu machen oder Sexpraktiken zu dulden, die sie sich nicht zumuten wollte. Sie hat die Kunden dominiert und ihren Ekel, wie sie ihren Todestrieb dominiert hat, angstbesetzt, aber nicht nur. Sie hat unbewußt Grenzen abgesteckt, etwas an ihr, in ihr aufgespart, für die Zeit danach, auf die kaum wer zu wetten bereit gewesen wäre, der sie kannte, sie selbst schon gar nicht.
    In den letzten fünf Jahren gab es, abgesehen von der Zeit vor und während der Schwangerschaft, nur hin und wieder zwei, drei Tage, an denen sie ohne die Droge auskam, auskommen wollte, wenn sie die Grippe

Weitere Kostenlose Bücher