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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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können.
    Im Gegensatz zu sonst – und Bannholzer hasste nichts mehr als Chaos, Unordnung und einen Berg von Akten, die einem sowieso nur die Sicht nahmen – hatte er sich sämtliche Berichte der Ermittlungen der SoKo Witznau noch einmal geben lassen. Doch schon die ersten Unterlagen, so oft er sie sich auch ansehen mochte, hatten ihm keine Erleuchtung gebracht. Ganz im Gegenteil: Von Minute zu Minute und von Seite zu Seite war er müder geworden, sehnte sich nach einem Zigarillo und einem guten Tropfen und sah sich in Gedanken schon die Beine hochgelegt vor dem Kamin sitzen und die Welt Welt sein lassen.
    Angestrengt schaute er aus dem Fenster. Das orangefarbene Licht der Straßenlaterne, umhüllt von einem zarten Nebelschleier, hatte etwas Trauriges und Verlorenes und Bannholzer hatte das Gefühl, die Lampe sei er, wie er mit letzter Kraft gegen den immer stärker werdenden Nebel aus Druck, Frustration und Hilflosigkeit ankämpfte und als Einziger noch imstande war, auch in der düstersten Stunde des Daseins zu leuchten.
    Weiter gehts, dachte er und atmete noch einmal tief durch, ehe er sich die nächste Mappe vom Stapel nahm, auf der in Versalien der Name Gerald Nägele geschrieben stand.
    Gerald Nägele. Der ungeratene, der verlorene Sohn. Was für ein Klischee, dachte Bannholzer. Aber Gerald passte nun mal perfekt auf die Beschreibung eines Taugenichts. Er erinnerte sich noch gut an das gestrige Gespräch, in dem Gerald nonchalant über jeglichen Verdacht erhaben gewesen zu sein schien und absolut kein Mitgefühl für seinen Vater empfunden hatte. Was für ein Kotzbrocken!, dachte Franz-Josef Bannholzer und erinnerte sich an ein psychologisches Seminar in Freiburg zurück, auf dem verschiedene Profiler ihre Arbeitsmethoden dargelegt und dabei zu erklären versucht hatten, was die Ursachen für so manch seelischen Abgrund sein könnten. Eine Theorie beleuchtete den Geschwister-Konflikt, der, auf Eifersucht, Neid und Missgunst basierend, eine Dynamik entwickelte, die sich, dem biblischen Vorbild der Brüder Kain und Abel folgend, in der Praxis sehr häufig in einer absoluten Tragödie entladen würde.
    Hatte Gerald Nägele etwa seinem Vater aufgelauert, nur weil dieser seine Tochter über alles liebte und in seinem Herzen dadurch anscheinend keinen Platz für Gerald hatte? Oder war es die gesamte Aufmerksamkeit, die Charlotte von allen Seiten, ob in der Schule, beim Sport, in den Vereinen und eben auch als Rosenkönigin zuteilwurde, mit der Gerald nicht mehr leben konnte?
    Bannholzer grübelte. Doch Charlottes Verschwinden konnten sie ihm beim besten Willen nicht anhängen, weil dafür sowohl die Indizien wie auch die Beweise fehlten. Es war und blieb eine Theorie. Eine sehr glaubwürdige zwar, aber eben nur eine Theorie.
    Charlotte. Sie war der Schlüssel zu allem, dessen war sich Franz-Josef Bannholzer nun sicherer denn je. Nur wusste er immer noch nicht, wie sie, um die sich in Nöggenschwiel auch 15 Jahre nach ihrem Verschwinden immer noch alles drehte, in dieses Puzzle hineinpasste. Bisher wusste man ja noch nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebte. Eine Überprüfung der Schweizer Behörden hatte nichts ergeben. Es waren weder eine Charlotte Nägele noch eine Charlotte Lusser irgendwo gemeldet, zumindest keine, auf die die Beschreibung der Nöggenschwieler Charlotte gepasst hätte. Auch bei den Friedhöfen, Krematorien und den Vermisstendienststellen der Schweizer Kantonspolizeistationen hatte man nachgefragt, doch diese Recherche war ebenso erfolglos geblieben.
    Bannholzer wollte sich gerade schon die nächste Mappe vornehmen, als sein Handy klingelte. Als er sah, welche Nummer in seinem Display blau aufleuchtete, nahm er das Gespräch sofort an.
    â€žBannholzer? Ist Reinhold Nägele wieder ansprechbar?“, fragte er den Arzt, der sich ihm als Dr. Schmidt vorgestellt hatte.
    â€žDazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich rufe aus der Chirurgie an. Ihr Sohn wird hier gerade operiert. Er hat einen Blinddarmdurchbruch.“

zweiundsechzig
    Emma lag – nachdem sie in ihre Ferienwohnung zurückgekehrt war, einen Kakao getrunken und sich anschließend im Bad für die bereits weit fortgeschrittene Nacht fertig gemacht hatte – hellwach unter dem warmen Oberbett. Ihr Gehirn ratterte. Die Gedanken wollten sie einfach nicht einschlafen lassen. Immer wieder grübelte sie über die vergangenen

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