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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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schon gerade schließen und sich mit der von Richard Sutherfolk beschäftigen, als sein Blick am letzten Satz des Berichts unter der Rubrik „Sonstiges“ hängen blieb: „Auffallend waren die vielen Porträts der Tochter des Opfers im ganzen Haus.“
    Dazu hatte Gerald Nägele nur abfällig bemerkt, wenn es nicht ihr Vater wäre, könnte man glatt meinen, das sei die Arbeit eines Stalkers gewesen, erinnerte sich Franz-Josef Bannholzer an Geralds Bemerkung, bevor er sie äußerst unhöflich aus dem Haus komplimentiert hatte.
    Franz-Josef Bannholzer stand auf. Er spürte seine müden Knochen und unbeweglichen Gelenke, die nach mehreren ungemütlichen Stunden im Stuhl des Krankenzimmers förmlich nach einer Erholungspause lechzten.
    Er sah aus dem Fenster, das zur Straße hin zeigte. Die Stadt war gerade im Begriff zu erwachen. Die Müllabfuhr war bereits unterwegs und durchfuhr langsam die Straße, die seitlich an der Polizeidirektion entlang führte und auf die Bundesstraße mündete. Der Greifarm des Müllwagens holte sich gerade eine graue Restmülltonne, hob sie an, führte sie ans Entladefach, kippte sie, um sie anschließend nach erfolgreicher Leerung wieder an den Straßenrand zu stellen. Keine fünf Meter weiter begann das gleiche Spiel von vorn. Monoton, spannungslos und doch so immens wichtig für das Funktionieren einer Stadt, dachte Bannholzer.
    Funktionieren. Genau das musste Reinhold Nägele auch, nachdem seine Tochter verschwunden war, dachte Bannholzer, als er wieder an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war. Doch was ist, wenn Charlotte wirklich nicht abgehauen oder durchgebrannt ist, sondern sie jemand hatte verschwinden lassen? Er blätterte durch die Zeitungsartikel, die die Kollegen bei Nägele sichergestellt hatten. Überall, wie bereits schon auf den Fotos, war nur Charlotte zu sehen. Charlotte bei der Mitgliederversammlung der Landfrauen, Charlotte bei der Pflege eines Rosenbeets, Charlotte im Tennisdress und als Rosenkönigin.
    Immer nur Charlotte.
    Eine Welt, in der nur Charlotte existierte.
    Eine Welt, in der Charlotte alles war.
    Was muss das für eine Welt sein, in der nichts Anderes außer Charlotte zählt?, sinnierte Bannholzer und strich sich dabei über seinen Bart, fast so, als könne dieser ihm die Bedeutung dieses übertriebenen Personenkults erklären.
    Charlotte, der Lebensinhalt.
    Der Mittelpunkt der Welt.
    Das Objekt der Begierde.
    Bannholzer hätte fast seinen Lieblingsbecher umgeworfen, als er sich am Tisch abstützend mit Temperament aus dem Ledersessel erhob und nach den Autoschlüsseln griff.

vierundsechzig
    Ein lautes Bollern riss Emma aus ihrem Halbschlaf. Sie hatte die kurze Nacht kaum geschlafen, und als sie auf die Uhr sah, stellte sie überrascht fest, dass es noch keine 6 Uhr war.
    Da sie aus dem Nachbarapartment der Urlauber aus Dortmund keinen Laut hörte, musste das Geräusch wohl von draußen gekommen sein. Vielleicht ist es im Hof spiegelglatt und der Zeitungsbote ist mit seinem Fahrrad hingefallen, mutmaßte Emma, ohne aber wirklich eine Idee zu haben, ob der Mensch, der in Nöggenschwiel die Zeitungen austrug, ein Mann oder eine Frau und ob er oder sie zu Fuß, mit dem Auto oder eben mit dem Fahrrad unterwegs war.
    Sie wusste nicht mehr genau, was sie in den wenigen Stunden – oder waren es gar nur Minuten – des Tiefschlafs geträumt hatte. Und doch war ihr, als hätte sie sich selbst von außen betrachtet, wie sie so durch den Ort eilte. War sie auf der Flucht? Vor wem oder vor was lief sie weg? Wollte sie Hilfe holen? Emma rieb sich die Augen. Sie merkte einen leicht stechenden Schmerz im oberen Nackenbereich und versuchte mit weichen Kreisbewegungen, ihren Kopf zu lockern und sich zu entspannen.
    Nachdem sie aufgestanden war, kurz, aber heiß geduscht hatte und anschließend in ihre Lieblingsklamotten – Jeans, Unterhemd und den sandfarbenen Kaschmirpulli – geschlüpft war, machte sie sich eine Tasse heiße Schokolade. Schlürfend kuschelte sie sich aufs Sofa, ihre Hände umfassten den Becher in der Hoffnung, genug der von ihm ausgehenden Wärme in sich aufzusaugen. Geistesabwesend schaute sie aus dem Fenster in die sich langsam auflösende Dunkelheit, die einem neuen Tag weichen musste.
    In ihrem Kopf spielten sich die wildesten Szenen ab. Mal war sie mittendrin und alles war auf sie ausgerichtet. Dann

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