Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
Vom Netzwerk:
wieder war sie die distanzierte Beobachterin, die über den Dingen schwebte, mit dem nötigen Abstand zwischen der Welt hinter der Glasscheibe und dem Kosmos. Doch ganz gleich, wo sie sich befand, es drehte sich alles nur um eine Person: Charlotte. Immer wieder kamen Emma die gleichen Bilder hoch. Wie Charlotte als Rosenkönigin triumphierend auf dem Wagen saß und dem Publikum zuwinkte. Einem Publikum, das nur aus bekannten Gesichtern bestand. Reinhold Nägele war ebenso zu sehen wie sein Sohn Gerald. Maria Reisinger und Franz Marder standen in der Reihe genauso wie die Villingers. Selbst Richard Sutherfolk und René Lusser konnte sie erkennen, wenn auch nur schwach, undeutlich, kaum wahrnehmbar. Die Blitzlichter überstrahlten die Sonne und Charlotte hatte ihr schönstes Lächeln aufgesetzt. Ein Lächeln für die Ewigkeit. An das man sich auch noch in hundert Jahren erinnern würde. Emma zuckte zusammen. Der Kakao schwappte über und hinterließ ein paar kleine Spritzer auf ihrem Pullover, als sie ruckartig aufstand. „Ich muss es endlich wissen“, sagte sie laut zu sich selbst, nahm noch einen kräftigen Schluck, stellte die Tasse in die Spüle, zog sich ihre Jacke an und stieg in ihre Winterschuhe, bevor sie die Wohnung verließ.
    â€žGuten Morgen.“ Emma erschrak, als sie im Dunkel des Flurs eine Stimme vernahm.
    Sie hörte, wie jemand den Lichtschalter betätigte und im nächsten Augenblick sah sie ihre Feriennachbarin aus dem danebenliegenden Apartment kommen.
    â€žOh, Sie sind aber auch schon früh auf den Beinen“, sagte Luise Kampmann mit einem Lächeln, das aber im nächsten Moment erfror, und die ältere Dame zitterte, als sie vorsichtig und mit schwacher Stimme hinzufügte: „Oder ist wieder etwas passiert?“
    Da Emma nicht wusste, ob Luise Kampmann Reinhold Nägele kannte oder von dem versuchten Mordanschlag auf ihn gehört hatte, und da sie ihre mehr als besorgte Nachbarin nicht noch weiter beunruhigen wollte, antwortet Emma so ausweichend wie möglich: „Außer dem lauten Poltern vor der Tür ist heute Morgen noch alles ruhig und friedlich.“
    â€žSie haben das auch gehört? Ich hab schon zu meinem Mann gesagt: In der Stille nimmt man Geräusche plötzlich viel intensiver war als in der Stadt, wo man ja quasi vor lauter Lärm gar nicht mehr die Stille hören kann.“
    â€žIch glaube, der Zeitungsjunge war heute Morgen besonders beschwingt oder er wollte schneller sein als der Weckruf des Dorfhahns“, sagte Emma.
    â€žWenigstens bin ich dann nicht die Einzige, die unruhig geschlafen hat.“ Luise Kampmann schaute müde und abgespannt aus. Dennoch versuchte sie, milde zu lächeln. Auch dann noch, als sie die gereizte Stimme ihres Mannes durch die Tür hörte. „Luise, hast du irgendwo meine Strickjacke gesehen? Ich kann sie nirgendwo finden.“
    â€žIch muss los“, sagte Luise Kampmann und zeigte mit einer leichten Kopfbewegung Richtung Tür. „Es war schön, mit Ihnen zu plaudern, aber wie Sie hören, findet Herbert seine Sachen mal wieder nicht. Dabei könnte ich wetten, dass er sich die Strickjacke schon längst angezogen hat.“
    Luise Kampmann war schon fast in der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte. „Konnten Sie mit meiner Beobachtung eigentlich etwas anfangen? Ich meine, wissen Sie jetzt, wer den alten Bauern und die Verkäuferin aus dem Lädele umgebracht hat?“
    â€žLuuuiiiiiiiiiise …“, schallte es erneut aus dem Apartment der Kampmanns.
    â€žJa doch, ich komme schon“, sagte Luise Kampmann und schaute Emma, die schon an der Außentür zum Hof war, erwartungsvoll und gespannt an.
    â€žIch glaube, eine Rose wird uns die Antwort darauf geben“, rief Emma in den Flur zurück. Sie sah gerade noch, wie die Tür des Apartments ihrer Nachbarn ins Schloss fiel.
    Die Ärmste. Manchmal ist es vielleicht doch ein Geschenk, Single zu sein, dachte Emma und trat ins Freie. Eine Mülltonne stand mitten in der Einfahrt. Also doch kein Zeitungsjunge, der nicht Rad fahren kann, sondern schlicht und ergreifend die Müllabfuhr, dachte sie und zog sich den Reißverschluss ihrer Winterjacke hoch.
    Es war immer noch kalt. Ein leichter Eisfilm auf den Dächern der gegenüberliegenden Scheune und auf den Scheiben der Autos waren deutliche Zeichen des nahenden Winters, der hier in fast tausend Metern

Weitere Kostenlose Bücher