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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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als er an ihnen vorüberging. Er war schon fast durch das Pflanzenspalier hindurch, als er endlich das sah, wonach er sich die ganze Zeit gesehnt hatte.
    Das Licht flackerte schwach hinter der Scheibe und er spürte, wie ein warmer Lebenshauch sein Herz erwärmte. Da ist es, dachte er und ging langsam näher, fast so, als würde er magnetisch davon angezogen. Das Gewächshaus strahlte in vollem Glanz. Wie eine Oase des Glücks. Vor allem der helle Schein der Kerze und die immer noch satt grünen und wieder austreibenden Rosenpflanzen bildeten einen starken Kontrast zu der trostlosen Welt außerhalb des Glaspavillons.
    War da wer? Er drehte sich um, doch niemand war zu sehen. Er hatte das Gefühl, jemand hätte ihn verfolgt, doch alles war ruhig, auch hinter den Fenstern des Hauses bewegte sich nichts.
    Was haben sie nur aus mir gemacht, dass ich nun schon Gespenster sehe, dachte Franz Marder und verfluchte insgeheim die Geister des Alkohols, die ihn mehr und mehr im Griff zu haben schienen.
    Endlich war er da. Das Gewächshaus stand in seiner unberührten Schönheit vor ihm und schien unaufhörlich zu rufen: „Komm, tritt ein. Komm, tritt ein!“.
    Er lächelte, als er dem Ruf folgte. Ich bin ja hier, dachte er und beruhigte die hektischen Stimmen in seinem Kopf. Einen Moment hielt er inne, ehe er bedächtig die Hand um die Türklinke des Treibhauses legte. Er hatte sie fast schon ganz heruntergedrückt, als er im spiegelnden Glas der Tür plötzlich jemanden von hinten näher kommen sah.

neun
    Als sie vom zweiten Lädele-Einkauf binnen 24 Stunden in ihre Ferienwohnung zurückgekehrt war und sich endlich eine heiße Schokolade zubereitet hatte, überlegte Emma, wie sie den Tag nun beginnen und vor allem, wie sie mehr über Charlottes Verschwinden erfahren könnte.
    Emma nahm ihre Handtasche, holte einen Block und einen Kugelschreiber hervor und schrieb drei Wörter auf das oberste Blatt –das tat sie immer, wenn sie ein besseres Gefühl für den Fall bekommen wollte. Charlotte. René. Reinhold Nägele. Es waren diese drei Namen, die ihr bislang mit Charlottes Verschwinden am Abend des Rosenballs genannt worden waren. Aber warum sagen manche hier im Dorf, Charlotte sei durchgebrannt, wenn gerade René diese Theorie widerlegt hatte, grübelte sie, während sie das C von Charlotte immer und immer wieder übermalte.
    Denn falls sie wirklich mit René abgehauen war, dann dürfte doch niemand hier im Ort von Charlottes Verschwinden sprechen? Oder war sie gar nicht bei René, sondern er diente Charlotte nur als Alibi, um von jetzt auf gleich von hier abzuhauen und ihr bisheriges Leben einfach so hinter sich zu lassen? Aber warum sollte sie das tun? Was war der Grund? Und war sie freiwillig geflohen oder musste sie verschwinden, ja sogar untertauchen, weil sie bedroht wurde, weil sie Angst hatte oder weil sie vielleicht ein Geheimnis bewahrte, das nicht ans Licht kommen durfte?
    Emma kritzelte wie wild auf ihrem Block herum, um ihren vielen wirren Gedanken eine Ordnung zu geben. Doch weder die heiße Tasse Schokolade noch das Namenswirrwarr auf dem Blatt konnten ihr weiterhelfen.
    Ich muss hier raus und mich bewegen, dachte sie und zog sich, nachdem sie ihre Tasse in die Spülmaschine eingeräumt hatte, ihre Turnschuhe und ihren dicken Anorak an. Bei einem Blick durch die großen Terrassenfenster sah sie, dass sich das Wetter immer noch nicht gebessert hatte. Das Wolkenmeer am Himmel hing wie ein schwerer, nasser Sack an einer Wäscheleine und drückte auf die Welt und seine Bewohner, als würde er alles mitsamt seinem Gewicht zerquetschen wollen.
    Was für ein Wetter, dachte Emma und fröstelte dabei innerlich. Aber wenn ich mich schon vor die Tür wage und etwas Sauerstoff tanke, dann kann ich auch gleich noch Charlottes Vater einen Besuch abstatten.
    Es regnete immer noch unaufhörlich, als Emma die Haustür hinter sich zuzog. Der Wind blies stark und einige Regensalven peitschten ihr ins Gesicht. Emma spürte eine eigenartige, weil unausweichliche Unbehaglichkeit, die nur ein trister Novemberdauerregen wie dieser mit sich bringen konnte. Unter dem vorgebauten Balkon ihrer Vermieter halbwegs geschützt, band sie ihre blonden Haare lose zu einem Knoten zusammen, stülpte ihre hellblaue Wollmütze darüber und streifte anschließend noch die Kapuze ihres Anoraks über den Kopf, ehe sie

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