Und nie sollst du vergessen sein
losmarschierte.
Sie wusste, dass Reinhold Nägele am anderen Ende des kleinen Ortes wohnte. Wäre sie mit ihrem Wagen gefahren, hätte sie keine drei Minuten gebraucht. Doch so würde jetzt ein gut zehnminütiger Spaziergang vor ihr liegen. Genügend Zeit, sich auf das sicherlich nicht ganz einfache Gespräch mit Charlottes Vater vorzubereiten.
Soweit das überhaupt möglich war. So wie Roswitha Villinger ihn beschrieben hatte, musste er an der Trauer über Charlottes Verschwinden fast zerbrochen sein. Emma verlangsamte ihren Schritt, während sie sich tiefer in ihren Anorak einmummelte, um den aggressiven Regenattacken Stand zu halten.
Ehrlich gesagt weià ich gar nicht, was er eigentlich für ein Mensch ist, wie er so tickt, sinnierte sie. Denn obwohl sie über Jahre hinweg den GroÃteil ihrer Ferien in Nöggenschwiel verbracht hatte und davon die meiste Zeit mit Charlotte zusammen gewesen war, so hatte sie Reinhold Nägele nie wirklich näher kennengelernt. Irgendwie war er immer auf Geschäftsreise gewesen oder er hatte, wenn er dann mal zu Hause gewesen war, alleine in seinem Büro über irgendwelchen Unterlagen und Akten gesessen und sich nie groÃartig blicken lassen.
Emma wusste nur, dass es für Reinhold Nägele immer vor allem eins gegeben hatte: Charlotte. Sie war die Einzige, die wirklich für ihn zählte.
Ob er aber auch alles dafür getan hatte, sie vor Unheil zu bewahren?
zehn
Es ging leichter, als er gedacht hatte. Der alte Mann hatte sich gar nicht so stark gewehrt, wie er angenommen hatte, dabei war er kräftiger gewesen als er selbst.
Der Alkohol, die Sünde aller Labilen, schmunzelte er in sich hinein.
Als der Alte im Garten so herumgestreunert war, auf der Suche nach irgendetwas, hatte er sich lautlos, einem Schatten gleich, von hinten anschleichen können.
Mit viel Kraft und dem festen Willen, das Leben des ihm so langsam immer gefährlicher werdenden Alten zu beenden, hatte er mit der schweren Eisenstange ausgeholt â die eigentlich dazu diente, als Lawinenschutz auf dem Dach den Schnee vor dem Herunterbrechen aufzuhalten â und mit Schwung in Richtung Ziel geschlagen. In dem Moment hatte sich der unliebsame Gast umgedreht und mit Entsetzen erst ein kurzes Aufblitzen des glänzenden Stahls und dann das Gesicht des Angreifers gesehen.
Von jetzt auf gleich schwand der letzte Rest Alkohol aus Franz Marders Körper und Angst und Panik machten sich in ihm breit.
âDu?â, fragte er, doch im nächsten Augenblick traf ihn die Stange entlang der ganzen linken Seite des Kopfes.
Der kräftige Mann fiel wie vom Blitz getroffen um. An einer Stelle war die Kopfhaut auf einem Stück von gut zehn Zentimetern aufgeplatzt. Blut strömte aus der klaffenden Wunde. Dass der Alte so stark bluten würde, hatte ich nicht bedacht, stellte er mit Blick auf die seitlich offene Stelle am Kopf des Toten fest, während er das Eisen in einen groÃen, blauen Müllsack verpackte.
Nachdem er den Sack im nahegelegenen Schuppen deponiert hatte, kehrte er an den Tatort zurück.
Wie gut, dass ich mit dem Wagen direkt in den Garten fahren kann, dachte er bei sich und betrachtete dabei den kräftigen Mann, der regungslos im Matsch lag.
Du kannst mir nichts mehr antun. Deine Neugier wurde dir zum Verhängnis. Hättest dich mal lieber um deinen Hof gekümmert, als hier herumzuschleichen. Mein Schatz bleibt mein Geheimnis. Das wird jeder zu spüren bekommen, der sich hier auf die Suche macht, rechtfertigte er seine Tat vor seinem inneren Gewissen, das in ihm bohrte.
Nachdem er den Wagen langsam von der Garage in den Garten hineinmanövriert und die Kofferraumtür geöffnet hatte, wickelte er den alten Mann in einen Veloursteppich. Das dauerte länger, als ihm lieb war, denn er hatte heute noch einiges vor.
Als er sein Opfer endlich in den Teppich eingewickelt und ihn in den Kofferraum gehievt hatte, lief er schnell ins Haus, um sich nach getaner Arbeit sorgfältig die Hände zu waschen und die Einkaufsliste, einen Korb sowie das Leergut zu holen.
Mit Bedacht fuhr er den Geländewagen vom Grundstück in Richtung Dorfmitte. Die Turmglocke der St.-Stephans-Kirche schlug gerade 9 Uhr, als er nach links auf die KreisstraÃe in Richtung Weilheim abbog.
Die StraÃen waren leer und ausgestorben. Nur eine junge Frau, mittelgroà und eher unscheinbar gekleidet, die Regenkapuze ihres Anoraks tief
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