Und nie sollst du vergessen sein
aus dem Nichts war seine lallende Stimme gekommen, die irgendetwas von einem Kinderlied gesungen hatte. Doch dieses Lied hatte sie weder gekannt, noch den Mann deutlich genug verstehen können, um dem Gesang eine tiefere Bedeutung geben zu können.
Und nun lief sie hier am See entlang und wusste, obwohl sie so gerne spazieren ging, nicht, was sie an diesem schaurigen Ort eigentlich wollte.
âIst es noch sehr weit?â, rief sie ihrem Mann hinterher, der schon einige Schritte vorausgegangen war.
Doch Herbert Kampmann hörte die Worte seiner Frau nicht und lief mit gleichmäÃigem Tempo unvermindert weiter.
Erst als er einen lauten Schrei vernahm, drehte er sich ruckartig um.
Seine Frau hatte er vorher noch nie so gesehen. Sie stand mit aufgerissenen Augen und kreidebleich gut 20 Meter hinter ihm. Ihr Blick war starr, das Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht. Als er zu ihr kam, war er kurz davor, sie mit einer Ohrfeige wieder zur Besinnung zu bringen. Doch dann sah er, was sie so fürchterlich hatte erschrecken lassen.
Am Ufer lag ein Mann, der mit dem Kopf und dem Oberkörper rücklings im Wasser trieb. Ihm fehlte ein Schuh, die Jacke und sein Hemd waren vom Wasser durchtränkt. Die Hose war matschig und ebenfalls durchnässt, hatte sich doch hier das Wasser vom Regen bereits breitgemacht. In der einen Hand, die frei im Wasser schwebte, hielt er eine Flasche, die wohl einmal ein alkoholisches Getränk beinhaltet haben musste.
âIst er tot?â, fragte Luise Kampmann ihren Mann fast zaghaft und scheu nach wenigen Augenblicken, die ihr wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen sein mussten. Dabei zitterte ihr ganzer Körper und sie schluchzte wie ein kleines Kind.
âIch glaube schon. Wir müssen unbedingt die Polizei rufen. Ich laufe schon mal vor.â
âLass mich bloà nicht allein, vielleicht wurde er ja ermordet und der Mörder läuft hier noch herumâ, verfiel sie in eine Hysterie, die ihr Mann Herbert nicht ganz nachvollziehen konnte.
âDu hast wohl zu viele Krimis gelesen. Wir sind hier im Schwarzwald. Hier wird man nicht einfach umgebracht. AuÃerdem hat der Mann eine Flasche in der Hand. Der hat sich bestimmt hier verlaufen und ist in seinem besoffenen Zustand über einen Ast gestolpert und so unglücklich gefallen, dass er dabei ertrunken istâ, versuchte Herbert sachlich den Vorfall aus seiner Sicht zu beschreiben. Doch seine Frau meinte es ernst. âWage es nur, dass du mich hier und jetzt allein lässt und ich war für alle Zeit deine Frauâ, drohte sie, und Herbert Kampmann sah den entschlossenen Blick in den ernst blikkenden und gleichzeitig sehr ängstlichen Augen seiner Gattin. âMeinetwegen, dann lass uns etwas schneller gehen. Vielleicht hat ja das Café schon geöffnet und wir können die Polizei und den Rettungswagen verständigen. Wobei ich bezweifele, dass die besonders groÃe Lust haben, bei dem Wetter hier herauszukommen.â
Mittlerweile hatte es zwar ganz aufgehört zu regnen. Aber der Wind blies auch weiterhin mehr als ungemütlich streng über die Wipfel der Bäume, das kleine Tal und den dunklen See hinweg.
Heute musste sich auch das Wasser der Kraft der Böen unterwerfen und kleine Wellen schwappten gegen das Ufer.
zwölf
Eigentlich hätte er heute freigehabt. Aber weil ein Kollege seinen 28. Hochzeitstag feierte, lieà sich Karl Strittmatter überreden und tauschte seinen Wochenenddienst. Der 59-Jährige zählte schon die Wochenenden.
Nur noch elf Mal, dann habe ichâs endlich geschafft und muss nie mehr am Samstag arbeiten und die Sportschau verpassen. Er freute er sich darauf, in gut fünf Monaten endlich in Pension gehen zu können.
Fast schon ein wenig amüsiert beobachtete er in den vergangenen Wochen seine jungen Kollegen, die sich alle insgeheim Chancen ausrechneten, seinen Platz einzunehmen. Und damit war nicht nur sein Schreibtisch, mit dem neuen Computer, dem Flachbildschirm und dem kabellosen Telefon gemeint.
Karriere machen, und das bei der Kriminalpolizei! Ungläubig schüttelte er den Kopf und wartete auf einen dieser Kollegen, der ihm aus der Küche zwei Räume weiter einen Kaffee mitbringen sollte.
Damals war ich auch noch so motiviert und heià darauf, befördert zu werden. Aber die Zeiten sind, Gott sei Dank, längst vorbei, musste sich Strittmatter bereits die Devise âDienst nach Vorschriftâ
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