Und nie sollst du vergessen sein
Gewicht des Angreifers stemmte und ihre Beine versuchten, festen Halt auf der weichen, aber äuÃerst rutschigen Badewannenvorlage zu finden, wurde ihr Kopf so nach hinten gezogen, dass für den Bruchteil einer Sekunde ihre Augen die seinen trafen.
Es war das Entsetzen, das aus ihnen schrie, ehe sich der Schatten des Todes für immer über sie legte.
siebenundzwanzig
Montag, 19. November 2012
Silvia Trötschler war schon immer eine sehr sorgfältige und leidenschaftliche Hausfrau gewesen. Sie bügelte nicht nur Hemden, Bettwäsche oder Tischdecken, sondern auch Unterwäsche, und selbst Socken waren stets in ihrem Bügelkorb zu finden. Auch in der Küche arbeitete sie mit genauer Akribie. Die Zwiebelwürfel waren nahezu gleich groà und absolut akkurat geschnitten â und das ganz ohne Mini-Häcksler, Zwiebelschneider oder Küchenhelfer.
Und Fertiggerichte, Tütensaucen oder Dosen- oder Tiefkühlprodukte kamen ihr erst gar nicht ins Haus. Dafür kochte sie viel zu gerne. Vor allem ihre Saucen, oftmals mit einem kleinen Schuss Wein oder ein paar Kräutern aus dem eigenen Garten verfeinert, waren ihre Spezialität. Genauso wie ihre köstlichen Fleischgerichte, die bei allen Feiern sehr gefragt waren. Kein Catering-Unternehmen oder Partyservice kam an das Geschmackserlebnis einer Silvia Trötschler heran, so die Dorfbewohner, die sich immer besonders auf den Ausruf âDas Büffet ist eröffnetâ freuten, da sie wussten, mit wie viel Liebe SpieÃbraten, Geschnetzeltes vom Schwein, Rinder-Rouladen oder Krustenbraten zubereitet wurden.
Noch nie war ihr etwas misslungen, zumindest nicht, seitdem sie mit Albert Trötschler verheiratet war und das war sie nun schon seit 19 Jahren. Denn ihr ältester Sohn wurde im nächsten Jahr volljährig â exakt einen Monat nach ihrem Hochzeitstag. Doch heute Morgen war ihre rekordverdächtige Glückssträhne gerissen. Zuerst war es die Milch für den Kakao des jüngsten Sohnes, die ihr überkochte, nur weil sie gerade zum Briefkasten unterwegs war und die Zeitung holen wollte. Dann brannten ihr die Schweinefilets an, die sie heute Abend der Familie servieren wollte. Und wäre das nicht schon genug gewesen, schnitt sie sich noch beim Kartoffelschälen so unglücklich in den Finger, dass mehrere Tropfen Blut auf die bereits fertig entkleideten Erdfrüchte fielen und sie sich notgedrungen auch von denen noch verabschieden musste.
Um diese Schocks am frühen Morgen erst einmal zu verdauen, hatte sie sich in den groÃen Fernsehsessel gesetzt und minutenlang den Fernseher angestarrt. Ihre Hände zitterten, als sie bemerkte, dass sie immer noch den Kartoffelschäler in der Hand hielt, während der verletzte Finger unter seinem dicken Pflaster und dem Verband wie wild pochte. Nur aus dem Augenwinkel heraus sah sie auf die Uhr und musste bei einem zweiten Blick auf die monoton vor sich hin tickende Wanduhr aus Eichenholz feststellen, dass es schon eine Minute vor 10 war.
âAuch das nochâ, fluchte sie. âJetzt komm ich auch noch zu spät zum Nägele und der wartet sicher schon mit seiner Bügelwäsche, einer unaufgeräumten Küche und dem Wunsch, die Betten frisch bezogen zu haben, obwohl ich das erst vergangene Woche getan habeâ, sagte sie laut vor sich hin und äffte dabei die gönnerhaften Posen des Vorsitzenden des Heimatvereins und stellvertretenden Bürgermeisters nach.
So eilte sie in die Küche und spülte den Kartoffelschäler noch einmal unter flieÃendem Wasser ab, bevor sie ihn dann in die Besteckschublade einsortierte. Danach lief sie ins Badezimmer, kontrollierte den Sitz ihrer Dauerwelle, sprühte noch kurz mit dem Spray über ihre braune Haarpracht und eilte dann aus dem Bad, um sich an der Garderobe ihre Winterjacke in Leo-Optik überzuziehen, den Knirps zum Portemonnaie und dem Haustürschlüssel in den Einkaufskorb zu legen und zehn Minuten nach 10 Uhr endlich das Haus zu verlassen.
Erst jetzt merkte sie, dass sie wie eine alte Dampflokomotive schnaubte. Ein Zustand, vor dem sie ihr Hausarzt immer gewarnt hatte. Ein zu hoher Cholesterinspiegel, ein daraus resultierender Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei verschiedenen Familienmitgliedern waren Alarmsignale, auf die sie hören sollte, so ihr Arzt, der ihr trotz einiger Medikamente eine angemessene Lebensweise verordnete. Dazu gehörten neben
Weitere Kostenlose Bücher