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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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sie nun endlich eine Person gefunden, die kurz vor Charlottes Verschwinden noch mit ihr gesprochen hatte. Nun hatte sie endlich einen Anhaltspunkt, einen Menschen, der ihr weiterhelfen konnte, auch wenn sie nicht wusste, ob Richard Sutherfolk überhaupt dazu bereit wäre. Er war immerhin ein Freund von Reinhold Nägele. Und sie konnte nicht einschätzen, ob er vielleicht von Reinholds krummen Geschäften gewusst hatte oder nicht. Überhaupt – Reinhold Nägele!, dachte sie und ein eisiger Schauer durchfuhr ihren Körper. Hatten ihr die Glücksgefühle über den ersten Schnee auf dem Weg von der Heubacher Kapelle zurück nach Nöggenschwiel die nötige Wärme geschenkt, so musste sie nun feststellen, dass selbst die fünf Lagen Kleidung – bestehend aus Unterhemd, T-Shirt, Bluse, Strick-Cardigan und Winterjacke – nicht gegen die emotionale Kälte im Hause Nägele anzukommen vermochten. Eine Kälte, die sie so schon lange nicht mehr gespürt hatte. Wenn überhaupt.
    Dabei war für ein Kind nichts prägender, als wenn es von seinen direkten Bezugspersonen, von seinen nächsten Verwandten, den Eltern, nicht so akzeptiert wurde, wie es sich das wünschte. Und vor allem, wie es das verdient hatte. Ganz gleich, ob als Säugling, als Teenager oder eben als junger Mann. Wenn sie recht überlegte, war Gerald Nägele nicht viel älter als sie und sie hatte den Eindruck, der rebellische, teils aufmüpfige und in seinem tiefsten Innern doch so wahnsinnig sensible und verletzliche Mann hatte unter Umständen annähernd das Gleiche durchgemacht wie sie.
    Emma stapfte durch den Schnee. Sie musste aufpassen, auf dem abschüssigen Witznauweg nicht auszurutschen, so festgefahren und glitschig war die weiße Pracht, die im Laternenlicht eisig aufblitzte. Es wird wieder eine kalte Nacht, dachte sie und verlangsamte ihren Schritt. Irgendwo in der Ferne hörte sie ein Baby schreien. Die hilfebedürftigen Laute durchschnitten die kalte Luft, und Emma erinnerte sich an ihre Jugend zurück – wehmütig und voller Trauer.
    Emma war nicht als Emma gewollt gewesen. Eher als Jan, Lasse oder Sören. Und das hatten sie ihre Eltern unentwegt spüren lassen. Schon als Kleinkind wurde Emma sehr selbstständig erzogen. Eigentlich ein guter Umstand, nur ob man mit sechs Jahren schon ein Schlüsselkind sein, mit acht alleine Bus fahren und sich mit zwölf selbst um seine Schulbücher kümmern musste, ließ sich schon hinterfragen. Und Tränen waren im Hause Hansen sowieso verboten. Der Ausspruch „Indianer weinen nicht“ galt auch für Emma. Sie musste tapfer sein, auch wenn sie vor Bauchschmerzen nicht schlafen konnte oder sie sich bei einem anstehenden Zahnarzttermin vor Angst fast in die Hose gemacht hätte. Sie durfte einfach keine Schwäche zeigen, egal in welcher Situation und in welchem Alter sie war. Dabei hätte sie sich so gern einmal an der Schulter ihrer Mutter ausgeweint, sich in ihre Arme geworfen und dort ein wenig Trost gefunden. Doch ihre Mutter Marit war einfach zu schwach und viel zu oft mit sich selbst beschäftigt, um für Emma wirklich als Mutter da zu sein. So hatte sie sich ein Ventil für ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe gesucht. Dieses war für Emma der Beruf, besser gesagt die Karriere, und mit ihr die Anerkennung, nach der sie sich immer gesehnt, aber nie bekommen hatte. Nun waren es fremde Menschen wie der Polizeidirektor oder der direkte Vorgesetzte, die Emma beglückwünschten und sie sogar einmal in den Arm nahmen. Ein unbeschreibliches Gefühl, und doch wünschte sie sich nichts mehr, als würden sich statt ihrer Chefs ihre eigenen Eltern über ihre Leistungen freuen und stolz auf ihre Tochter sein.
    Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie nach ihrer kurzen Tour durch die frische, klare Luft wieder in die Hofeinfahrt ihrer Vermieter einbog. In Roswitha Villingers Küche brannte Licht, ansonsten lag das Haus still und friedlich in ein klares und puristisches Weiß eingebettet, das einen starken Kontrast zu den schwarzen Querbalken des Dachstuhls bildete.
    Sie wollte gerade in ihrem Anorak nach dem Schlüssel suchen, als innen das Licht angeschaltet wurde und wenig später Georg Villinger in der Tür stand.
    â€žHallo Emma. So spät und bei diesem Wetter noch unterwegs?“
    â€žJa, ich musste einfach mal meine Gedanken sortieren“,

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