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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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Fundament, auf das sich unser Leben gründen lasse. René Descartes hieß der Mann, und was ihn zu dieser kühnen These bewegt hatte, war sein verzweifeltes Ringen um Gewissheit. Alles, so behauptete er in seinen Meditationen über die Erste Philosophie , restlos alles – auch Gott – könne in seiner Existenz bezweifelt werden. Allein die Tatsache, dass man dabei aber doch denke, sei diesem Zweifel enthoben; so dass dieses »denken« das einzige Absolute sei, was als der Urheber und Garant von einem bleibenden Sinn des Lebens noch in Betracht gezogen werden könne.
    Also begannen die neuzeitlichen Philosophen – diese halbherzigen Mörder des alten Gottes – den Sinn des Lebens und der Welt nirgendwo anders zu suchen als in dem Subjekt des Denkens, das heißt innerhalb der Reichweite ihrer menschlichen Vernunft. So nimmt es nicht wunder, dass die Antworten, zu denen sie kamen, signifikant anders klangen als zu früheren Zeiten. Während sie sich gleichzeitig aber noch ganz in den gedanklichen Bahnen bewegten, die von den alten Metaphysikern und Theologen gelegt worden waren – was Nietzsche äußerst degoutant fand.
    Werde, was du bist! Die Gleichsetzung von Sinn und Bedeutung
    Gott starb langsam. Und die alte Metaphysik verblutete nicht an einem Tag. Die Ersten, die erfolgreich ihre Messer gegen sie erhoben, waren die sogenannten Nominalisten des Hochmittelalters, eine philosophische Konfliktpartei, die im Dauerclinch mit den sogenannten Realisten lag. Der Streit beider Parteien war an der Frage entbrannt, ob man denn wirklich sagen könne, der Sinn der Phänomene – das, was man an den Dingen dieser Welt verstehen kann – seien die ewigen und absoluten Ideen, die Gott in seinem allumfassenden Geist erdachte: die Bedeutung, die Gott einem jeden Ding im Zuge seiner Schöpfung gegeben habe. Die Realisten sagten: Ja, der Sinn eines Dinges ist eine ewige Universalie , die im göttlichen Intellekt existiert, völlig unabhängig vom faktischen Vorkommen der Dinge. Der Sinn einer Tasse etwa ist gleichsam abgespeichert auf der Festplatte eines zeitlosen göttlichen Computers und kann von jedem seines Namens würdigen Töpfer jederzeit und überall heruntergeladen werden. Die Nominalisten konterten: Nein, das, was man an den Dingen verstehen kann, ist überhaupt nicht ablösbar von dem, was real existiert, und deshalb auch nicht in irgendeinem ewigen göttlichen Geist auffindbar. Der Sinn einer Tasse kann folglich auch nicht durch einen Töpfer von der göttlichen Festplatte heruntergeladen werden, sondern der Töpfer generiert ihn selbst. Und nicht nur er, sondern auch derjenige, der aus der Tasse trinkt. Denn der Sinn einer Tasse liegt nicht in der Bedeutung, die Gott diesem Ding gegeben hat, sondern in der Bedeutung, die dadurch entsteht, dass dieses Ding auf eine bestimmte Weise von Menschen gebraucht wird. Sinn, so die nominalistische Deutung, ist Menschenwerk. Er richtet sich nach unserem Tun und Sagen und ist deshalb nicht absolut, sondern relativ. Sinn ist nicht ewig, sondern geworden beziehungsweise gemacht.
    Der Streit zwischen beiden Parteien war heftig. Und was meinen Sie, wer am Ende gewonnen hat? Richtig, die Nominalisten. Womit Gott zu sterben begann, weil die Dinge dieser Welt nun nicht mehr als Manifestationen des göttlichen Geistes gedeutet werden konnten. Weil sie nun keinen ihnen gleichsam eingeborenen Sinn mehr in sich trugen, den man an ihnen verstehen konnte. Weil sie nun nicht mehr auf eine andere Dimension verwiesen und keinen tieferen Sinn mehr bedeuteten. Weil sie nun einfach nur noch die physischen, materiellen, körperlichen Dinge waren, denen keine von Gott gewollte Bedeutung mehr innewohnte. Die Welt geriet so zu einer großen Ansammlung ausgedehnter Sachen – res extensa , wie Descartes diese zweifelhaften Dinge nannte, um sie vom verlässlichen Intellekt, res cogitans (= denkende Sache), zu unterscheiden. So ihres Sinnes entleert, konnten die Phänomene fortan vermessen, berechnet und seziert werden. Die empirische Wissenschaft kam in die Gänge. Und der Siegeszug der Technik folgte ihr auf dem Fuß. Damit aber ergriff ein neuer Geist (oder Ungeist) Besitz vom Menschen, der den Anspruch geltend machte, »Herr und Meister der Natur« zu sein – der maître et possesseur de la nature (Descartes).
    Natürlich blieben solch markige Worte nicht unwidersprochen. Einer, der sich mit Descartes’ Trennung der Welt in sinnentleerte Dinge hier und denkendem Intellekt da gar nicht abfinden

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