Und Nietzsche lachte
gewollt, geschaffen und für gut gefunden. Er hatte auch den Menschen erschaffen und ihm mitgeteilt, was Er von ihm wolle, auf dass Er ihn gutheißen könne. Also hatte Er seinem Volke Gebote und Regeln aufgetragen, denen Gehorsam zu leisten den Sinn eines jeden Menschenlebens verbürgte. Denn wer solches tat, durfte sicher sein, von Gott gutgeheißen und bejaht zu sein – so dass er sich selbst gutheißen und bejahen konnte.
»Mensch, es ist dir gesagt, was gut ist und was der Herr von dir fordert«, hatte einst der Prophet Micha gepredigt, »nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.« Das war immerhin eine klare Ansage – und zwar eine Ansage aus dem Geiste der bislang wohl erfolgreichsten geistigen Formation, kraft derer Menschen den Sinn ihres Lebens verwirklichen zu können glauben: der Moral.
Denn nun wusste der Mensch, woran der Sinn seines Lebens hing, was sein Leben bejahbar machte. Er musste im Einklang mit Gottes Gebot leben. Er musste gehorsam sein gegen Gott. Die ganze christliche Ethik baut auf diesem Motiv auf: schon bei Paulus, aber erst recht bei Augustinus. In dessen Theologie gerät der Gehorsam gegen Gott zu der christlichen Kardinaltugend überhaupt. Und der Wille – voluntas – als die sich auf den Gehorsam gegen Gott verpflichtende Instanz im Menschen wird zum eigentlichen Subjekt alles moralischen Tuns. Gut und sinnvoll, so Augustinus, ist das Leben des Menschen in eben dem Maße, in dem er sich darauf verpflichtet, bei all seinem Tun und Lassen dem Willen Gottes gehorsam zu sein.
Ganz so wie in der christlichen Dogmatik der Vorsatz Gottes, das Universum zu erschaffen – sein Wille zur Schöpfung –, die Sinnhaftigkeit der gewordenen Welt und aller Dinge in ihr garantierte, so gewährleistete in der christlichen Moral der Wille des Menschen zum Gehorsam gegen Gott die Sinnhaftigkeit seines individuellen Lebens; seine Sinnhaftigkeit, die sich darüber hinaus nach dem Tode darin bewähren sollte, dass einem jeden, der gehorsam, gut und sinnvoll sein irdisches Dasein bestritten hatte, der Zugang zum ewigen Gottesreich geöffnet würde – gleichsam als Besiegelung, da er in Gottes Augen ein bejahbares Leben hatte vorweisen können.
Solange Gott »lebte« – was nun so viel bedeuten soll wie: solange der Glaube an Gott ungebrochen war –, konnte sich der Mensch mithin darauf verlassen, dass sein Leben einen Sinn habe. Er konnte zwar diesen Sinn verfehlen, wenn er Gottes erklärtem Willen zuwiderhandelte, ihn aber auch treffen, wenn er seinen Willen mit dem Willen Gottes zur Deckung brachte und so den Geboten der Moral entsprach. Ebenso konnte er sich darauf verlassen, dass die Dinge dieser Welt einen Sinn haben. Auch diesen Sinn konnte er verfehlen, sofern er in Unkenntnis und Unwissenheit auf Erden wandelte, aber er konnte ihn auch treffen, wenn er kraft seiner Vernunft herausfand, was die Dinge der Welt bedeuteten. So oder so verstand man als Sinn das, was von Gott gewollt und gutgeheißen war. Und was niemand zu er finden brauchte, weil es überall ge funden werden konnte. Denn sinnvoll war folglich alles, was die ihm von Gott gegebene Bedeutung zu erkennen gab, beziehungsweise was die ihm von Gott aufgetragenen Gebote erfüllte.
So war es vor dem Tode Gottes, solange die alte Metaphysik lebendig war und der Glaube an den zeitlosen und unwandelbaren Sinn alles Seienden Bestand hatte. So war es, solange die christliche Moral in Geltung stand und die Menschen zu wissen glaubten, was gut und böse ist.
Fort von allen Sonnen
Dann aber begann der schleichende Tod Gottes. Die Philosophen verloren den Glauben an einen Gott, der die Welt gewollt hatte und der etwas von ihnen wollte. Und so machten sie sich daran, die Welt von ihrer Sonne loszuketten und den Horizont fortzuwischen, vor dem sie bis dato ihr Leben gedeutet und gestaltet hatten. Natürlich hörten sie damit nicht auf, nach dem Sinn der Welt und ihres Lebens zu fragen. Aber dieser Sinn ließ sich auf einmal nicht mehr einfach finden – nicht in Gottes Intellekt und auch nicht in Gottes Willen. Er musste anderswo entdeckt werden. Und was lag da näher, als ihn auf Seiten des Menschen zu suchen: im menschlichen Intellekt und im menschlichen Willen? Allein darauf glaubte man sich noch verlassen zu können. Und so war es nur konsequent, dass irgendwann einer kommen musste, der sein eigenes Denken an Gottes statt zum fundamentum inconcussum ernannte, zum einzigen unerschütterlichen
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