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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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Leben ganz von allein bejahbar und gut; dann stellte sich ganz von allein der Sinn ihres Lebens ein.
    Und nun wollen Sie wissen, wie dieses Spiel funktioniert? Ich will es Ihnen sagen. Locke war der Überzeugung, den Menschen ginge es am Ende vor allem um dreierlei: Freiheit, Wohlergehen und Wohlstand. Er war zudem der Überzeugung, dass diese Ziele am ehesten dann zu erreichen seien, wenn sich die Menschen zu einem demokratischen Gemeinwesen zusammenschließen. So wurde er zum »ersten großen Propheten der liberalen Demokratie«.
    Adam Smith ging noch weiter. Er war der Überzeugung, der Wohlstand – um den es den Menschen so sehr ginge – lasse sich am ehesten verwirklichen, wenn der Handel möglichst wenig Regeln und Zwängen unterläge und eine freie Marktwirtschaft etabliert würde. So wurde er zum Propheten der liberalistischen Ökonomie. Für unser Thema ist jedoch am wichtigsten, wovon Jeremy Bentham und John Stuart Mill überzeugt waren. Diese Herren glaubten, die von Locke genannten Ziele und Wünsche des Menschen ließen sich unter einem einzigen Begriff zusammenfassen, nämlich happiness – Glück. Weshalb ihnen das Streben nach Glück, pursuit of happiness, das eigentliche Anliegen des Menschen zu sein schien, ein Gedanke, der sogar in die Verfassung der Vereinigten Staaten einging, die das Streben nach Glück – pursuit of happiness – als zu schützendes Menschenrecht anerkennt. Wie dem auch sei: Diese Philosophen vertraten den Standpunkt, das Leben des Menschen sei in exakt dem Maße gut, sinnvoll und bejahenswert, in dem es seinem einzig wahren Zweck und Nutzen dient: nämlich dem Glück. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass sie nicht müde wurden zu predigen, der Sinn und Zweck des menschlichen Lebens sei es nun gerade nicht, das eigene Privatglück zu befördern, sondern das größtmögliche Glück für die größtmögliche Menge von Bürgern sicherzustellen. Diesen Gedanken nannte Mill das Prinzip der Nützlichkeit, principle of utility , woher sich die Bezeichnung dieser Philosophie als Utilitarismus herleitet. Nach Bentham ist dieses Prinzip eines, »das schlechthin jede Handlung in dem Maß billigt oder missbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe, deren Interesse in Frage steht, zu vermehren oder zu vermindern«. Und er ergänzt: »Von einer Handlung, die mit dem Prinzip der Nützlichkeit übereinstimmt, kann man sagen, dass sie getan werden sollte«: Sie sei eine richtige Handlung und – wie ich ergänzen möchte – in eben diesem Sinne eine sinnvolle Handlung. Welche weitreichenden Folgen dieser Ansatz hatte, wird an einer Notiz von John Adams deutlich, einem der ersten amerikanischen Präsidenten. Er wendete in seinen Gedanken über die Regierung die utilitaristische Philosophie auf die Politik an: »Diejenige Regierungsform ist die beste, die am ehesten in der Lage ist, Behaglichkeit, Wohlergehen und Sicherheit [ ease, comfort, security ]– mit einem Wort: Glück – der größtmöglichen Zahl von Menschen im größtmöglichen Maße zu vermitteln.«
    Nun galt als sinnvoll, was nützlich ist – was der Behaglichkeit, dem Wohlergehen und der Sicherheit diente. Und der Sinn des Lebens besteht für viele Menschen seither darin, sich nach dieser Maßgabe für das Gemeinwohl nützlich zu machen. Damit war der Keim für die dritte der eingangs skizzierten Sinnerwartungen gelegt: Der englische Utilitarismus brachte die Gleichsetzung von sinnvoll und nützlich bzw. von Sinn und Zweck in die Welt.
    Dieses Denken ist mächtig. Bis heute. Nicht zufällig nennt unsere Sprache »Sinn und Zweck« gern in einem Atemzug. Denn allenthalben suchen Millionen Menschen Sinn und Erfüllung darin, sich nützlich zu machen. Ich habe von einer Frau gelesen, die unbedingt nach ihrem Tod ihre Organe spenden wollte, um auf diese Weise wenigstens einmal von Nutzen gewesen zu sein. »Kann ich mich irgendwie nützlich machen?«, fragt, wer danach strebt, in den Augen anderer und vor sich selbst bejahbar zu sein. Und wer den Sinn seines Tuns erläutern will, der verweist gerne auf Ziel und Zweck, die er damit erreichen wollte. Sinnvoll leben, so die Doktrin, heißt sich in den Dienst einer höheren Sache stellen; was sich in ungetrübter Klarheit immer dort zeigt, wo heroische Lebensmodelle propagiert werden: der Tod für das Vaterland, das Martyrium für die Kirche, das Sich-Aufopfern für Mann und Familie. Der Zweck heiligt gar zu gern die Mittel, wenn das Sinnvolle mit dem

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