Und Nietzsche lachte
mochte, war Gottfried Wilhelm Leibniz. Er entwickelte eine vergleichsweise kühne Theorie, derzufolge dieses Universum im unendlichen Intellekt Gottes als eine »prästabilierte Harmonie« entworfen worden sei: eine gigantische Komposition, in der Gott alles so arrangiert hatte, dass die beste aller möglichen Welten dabei herausgekommen war bzw. im Herauskommen begriffen ist. Denn für Leibniz war die Welt nicht fertig, sondern ein Prozess, ein Geschehen, in dessen Folge sich ihr Bestmöglich-Sein entfalten würde. Zwar können wir, so lehrte Leibniz, nicht immer verstehen, wieso nun ausgerechnet diese hier die beste aller möglichen Welten sein soll, aber wir können nichtsdestotrotz davon ausgehen, dass diese Welt im Ganzen sinnvoll ist – bestmöglich eben. Und das gilt nicht nur für die Welt im Ganzen, sondern konsequenterweise auch für all das, was darin vorkommt – allem voran für die eigene Existenz. Auch sie ist Teil der »prästabilierten Harmonie«, denn sie gründet in dem, was Leibniz eine »individuelle Substanz« oder »Monade« nannte. Darunter verstand er so etwas wie die Energiequelle eines jeden Seienden: die Ursache dafür, dass etwas in seiner jeweiligen Besonderheit existiert, gleichsam die Seele eines jeden Dinges, die es zu seinem So-Sein entfaltet. Leibniz nannte die Monaden deshalb auch »Entelechien«: etwas, das in sich ( en ) sein Ziel ( telos ) hat ( echei ), das also darauf angelegt ist, sich über die Spanne seiner Existenz zu dem zu entwickeln, was es eigentlich ist. Etwa so, wie ein Keim sich über den Prozess des Wachstums hin zu einem stattlichen Baum entwickelt und darin sein Ziel oder seine Vollendung erreicht.
Warum erzähle ich das? Weil durch Leibniz’ Theorie der »individuellen Substanzen« in abgewandelter Form die alte neuplatonische Idee zurückkehrte, der Sinn eines Seienden sei die ihm von Gott gegebene Bedeutung. Nur, dass dieses Verständnis von Sinn nun nicht mehr allein auf die Dinge dieser Welt Anwendung fand, sondern auch auf die Krone der Schöpfung: den individuellen Menschen. Auch ihm eignet – wenn man Leibniz folgt – eine zeitlose Bedeutung, die den Sinn eines jeden individuellen Lebens verbürgt. In Gegenreaktion zu der Sinn-Entleerung der Dinge in Folge des Nominalismus und des von Descartes auf den Weg gebrachten neuzeitlichen Rationalismus wurde so die Vorstellung populär, ein jeder Mensch trage in sich einen Keim, den zu entwickeln der Sinn seines Lebens sei. »Werde, der du bist!«, konnte man sich nun zurufen, was so viel heißen sollte wie: Entfalte dein Wesen! Gib deinem Leben Bedeutung, indem du verwirklichst, was deine Bestimmung ist!
Die Gleichsetzung von Sinn und Bedeutung ging mit Leibniz also in die zweite Runde. Und das nicht ohne Erfolg. Denn reden Sie mal mit Ihren Freunden über den Sinn des Lebens. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie immer wieder auf heimliche Leibnizianer stoßen, die unermüdlich danach trachten herauszufinden, was wohl ihre Bestimmung ist; die sich fragen, was sie nur tun können, um die zu werden, die sie eigentlich sind; wie sie es hinbekommen können, das ihnen vom großen Schöpfergott (oder dem Karma oder sonst wem) zugedachte Drehbuch richtig umzusetzen, so dass es stimmt, so dass sie sich bejahen können, so dass ihr Leben bedeutend ist, weil es seinen Sinn (= Bedeutung, Bestimmung) zu erkennen gibt. Selbst nach dem Tode Gottes ist diese Form der Sinnerwartung noch weit verbreitet. So ganz ist die sinnstiftende Sonne der alten Metaphysik offenbar doch nicht untergangen. Zumindest glüht sie im Glauben an eine persönliche und individuelle Bestimmung noch nach. Und vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn es ist wohl unstrittig, dass sich Menschen wohlfühlen, die in dem Bewusstsein leben, ihrer Bestimmung zu folgen. Die Frage ist nur, wie weit dieses Bewusstsein trägt und wie viel Nachhaltigkeit diesem Wohlfühlen eignet.
Mach dich nützlich! Die Gleichsetzung von Sinn und Zweck
Auch die sinnstiftende Sonne der alten Moral steht – sehr zum Verdruss Nietzsches, wie man annehmen darf – noch immer glutrot über dem Horizont. Und das, obwohl es unter den Philosophen und Vordenkern des Westens lang schon als ausgemacht gilt, dass allein mit den Geboten Gottes kein Staat zu machen sei. Spätestens seit Europa in den Konfessionskriegen des 17. Jahrhunderts in Schutt und Asche versunken war, mochte niemand mehr daran glauben, dass ausgerechnet die Religion ein verlässliches Fundament für ein
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