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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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sei es in einem bayrischen Gehöft an einem Wintermorgen –, da rührt uns, ohne unser Zutun, mitten in der Welt dieses große »Ja« an, das die Griechen »Gott« nannten.
    Warum, fragen Sie jetzt vielleicht, erzählt er das alles? Antwort: Weil ich Sie dazu bringen möchte, gegen den Strich zu denken. Weil ich Ihnen vermitteln will, wie anders sich im griechischen Welterleben Sinn erschließt. In dieser mythologischen Deutung der Welt schafft kein mächtiger Schöpfergott kraft seines guten Willens die Welt und garantiert damit ihre Sinnhaftigkeit. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Die alten Griechen machten die Erfahrung, dass ihnen inmitten dieser Welt ein unbedingtes »Ja!« sieghaft entgegenjubelt. Und immer da, wo es ihnen begegnete, sagten sie »Gott«. Nicht erschien ihnen die Welt sinnvoll, weil ein Gott sie gewollt und gemacht hat, sondern die Welt erschien ihnen voller Götter, weil sie sich ihnen in mannigfaltiger Gestalt als sinnvoll und bejahbar zeigte und in Göttergestalten offenbarte. Und so wären sie wohl auch nie auf die Idee gekommen, aus Selbstmächtigkeit oder eigenem Willen zur Macht Sinn erfinden zu können. Für sie war klar: So wenig wir Menschen die Götter herbeizwingen können, so wenig können wir kraft unseres Wollens und Machens Sinn erzeugen oder erfinden. Sinn kommt auf uns zu. Und alles, was wir zu tun haben, ist ihn wahr- und annehmen.
    Sie ahnen, worauf ich hinauswill? Es geht mir nicht darum, Ihnen die alten Götter anzudienen. Aber ich möchte Ihnen deutlich machen, dass die Griechen Sinn so deuteten, wie sie ihre Götter erlebten: nämlich als gestalthafte Offenbarungen des einen, umfassenden Seins; und nicht als Gebote und Produkte des einen allmächtigen Schöpfergottes.
    Das wird ganz besonders deutlich an der Gestalt des Gottes Apollon. Man könnte ihn auch den Gott des Sinns nennen, denn fast alles, was über ihn und sein Wirken unter den Menschen gesagt wird, lässt sich als eine bildhaft-mythische Theorie des Sinns lesen. Darf ich Ihnen also Apollon vorstellen? Ich verspreche Ihnen: Je besser Sie mit ihm bekannt sind, desto besser werden Sie verstehen, was Sinn am Ende des Tages wirklich ist. Schauen Sie mal, was ein uralter Homerischer Hymnus über ihn verrät: »Denken und nimmer vergessen will ich den Schützen Apollon, / den selbst Götter fürchten, wenn er dem Hause Kronions [= Zeus] / naht; und sie erheben sich gleich, sobald er herankommt, / alle vom Sitz, er aber spannt den schimmernden Bogen.«
    Was ist das für ein Gott? Welche Facette des großen kosmischen Lebens offenbart sich hier? Nun, er ist eine ehrfurchtgebietende Erscheinung. Apollon ist der Hoheitsvolle, er trägt auch den Beinamen Phoibos – der Strahlende. Wo er naht, erheben sich selbst Götter, so autoritativ ist sein Erscheinen. Umgeben von der Aura des Absoluten, gebietet er Abstand und kommt selbst aus der Ferne. So jedenfalls kennt ihn der Mythos: als einen, der am liebsten in fernen Ländern jenseits der Wälder lebt, von dort aber machtvoll und treffend naht. Deshalb ist er mit Pfeil und Bogen ausgestattet. Sein markantestes Werk ist das Treffen. Seine Pfeile verfehlen nie ihr Ziel. Er ist derjenige, der weiß, wie man trifft – und was zu treffen ist: das Treffliche. Wenn es sich trifft – dann ist das Apoll. Wenn einer eine treffende Bemerkung macht – dann ist das Apoll. Wenn einer das rechte Maß trifft, dann ist das Apoll. Apoll ist der Gott des Treffens. Und was ist es, das er trifft? Das Treffliche! Das Treffliche ist genau das, was stimmt. Ein trefflicher Redner ist der, der genau die Worte trifft, die stimmen. Ein trefflicher Arzt ist der, der genau die Anordnungen trifft, die stimmen. Ein trefflicher Musiker ist der, der genau die Töne trifft, die stimmen. Wobei dieses »stimmen« auf doppelte Weise zu hören ist. Es bedeutet: so, dass etwas zutrifft; aber auch, dass etwas (wie durch eine Stimmgabel) in eine gute Schwingung oder Stimmung gebracht wird – in Übereinstimmung mit sich selbst, in Einklang, in Harmonie.
    Beides ist das Werk des Apollon: Er ist der Gott des ES STIMMT. Er ist der Gott des Trefflichen – der Gott des Stimmigen. Er ist der Gott, der der Welt und den Menschen das Maß gibt, an dem maßzunehmen bedeutet, etwas zu treffen und in gute Stimmung zu bringen: sich und die Welt so zu arrangieren, dass ES STIMMT; so, dass wir uns und unsere Werke gutheißen und bejahen können.
    Dabei ist nun eines zu beachten: Etwas so zu arrangieren, dass es stimmt

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