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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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flüsterte er. «Seit Stunden und Stunden und Stunden. Ich kann einfach nicht mehr still liegen. Und dann dieser Hustenreiz, den ich schon die ganze Zeit habe   …»
    Die Wahrheit dieser Geschichte ließ sich kaum bezweifeln. Für eine Bungar war das durchaus keine ungewöhnliche Verhaltensweise. Diese Schlangen sind oft in der Nähe von Häusern zu finden und haben eine Vorliebe für warme Plätze. Ungewöhnlich erschien mir nur, dass Harry nicht gebissen worden war. Der Biss ist absolut tödlich, es sei denn, dass man das Tier sofort fängt. Jedes Jahr sterben auf diese Weise eine größere Anzahl von Menschen in Bengalen, vor allem in den Dörfern.
    «Pass auf, Harry», sagte ich, ebenfalls im Flüsterton, «du darfst dich um keinen Preis bewegen. Und sprich nur, wenn es unbedingt nötig ist. Tu nichts, was sie erschrecken könnte, dann beißt sie bestimmt nicht. Wir kriegen das schon hin.»
    Ich schlich auf Socken in die Küche, holte ein kleines, scharfes Messer und steckte es in die Hosentasche – für den Fall, dass etwas schiefging, bevor wir einen Plan gefasst und ihn ausgeführt hatten. Wenn Harry hustete oder sich bewegte oder sonst etwas tat, was die Bungar zum Beißen reizte, würde ich sofort die Wunde durch einen Schnitt erweitern und versuchen, das Gift auszusaugen. Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück. Harry lag regungslos da, und der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er wandte keinen Blick von mir, als ich durch das Zimmer auf sein Bett zuging, und ich sah ihm an, dass er sich fragte, was ich draußen gemacht hatte.Ich stand neben ihm und zerbrach mir den Kopf, wie ich ihm am besten helfen könnte.
    «Harry», sagte ich dicht an seinem Ohr, damit ich die Stimme nicht über das allerleiseste Flüstern zu erheben brauchte, «ich möchte jetzt das Laken ganz, ganz vorsichtig zurückziehen und sie mir erst einmal ansehen. Ich glaube, ich schaffe es, ohne sie zu wecken.»
    «Lass das bleiben, du verdammter Idiot.» Er sprach so langsam, so vorsichtig, so leise, dass seine Stimme völlig ausdruckslos war. Der Ausdruck lag in den Augen und in den Mundwinkeln.
    «Warum denn?»
    «Das Licht würde sie erschrecken. Unter dem Laken ist es doch dunkel.»
    «Und wenn ich nun das Laken mit einem Ruck fortreiße und sie hinunterfege, bevor sie zubeißen kann?»
    «Warum holst du keinen Arzt?», fragte Harry. Der Blick, mit dem er mich ansah, machte mir klar, dass ich schon längst daran hätte denken müssen.
    «Einen Arzt. Natürlich. Ich rufe Ganderbai an.»
    Ich ging auf Zehenspitzen in die Diele, schlug Ganderbais Nummer im Telefonbuch nach, hob den Hörer ab und bat die Vermittlung, sich zu beeilen.
    «Dr.   Ganderbai», sagte ich. «Hier spricht Timber Woods.»
    «Hallo, Mr.   Woods. Sind Sie noch nicht im Bett?»
    «Hören Sie, können Sie wohl sofort herkommen? Und bringen Sie ein Serum mit – gegen einen Bungarbiss.»
    «Wer ist gebissen worden?» Er stieß die Frage so scharf hervor, dass es in meinem Ohr eine Art kleiner Explosion gab.
    «Niemand. Bis jetzt noch niemand. Aber Harry Pope liegt im Bett und hat eine Bungar auf dem Bauch – sie schläft unter dem Laken auf seinem Bauch.»
    Etwa drei Sekunden lang herrschte tiefe Stille, dann hörte ich wieder Ganderbais Stimme, und diesmal sprach er nicht explosiv, sondern langsam und eindringlich. «Sagen Sie ihm, er soll ganz still liegen. Er darf sich nicht bewegen und nicht sprechen. Verstehen Sie?»
    «Gewiss.»
    «Ich komme sofort.» Er legte auf, und ich ging ins Schlafzimmer zurück. Harry ließ mich nicht aus den Augen, als ich den Raum durchquerte.
    «Ganderbai ist schon unterwegs. Er sagt, du sollst ganz still liegen.»
    «Zum Teufel, denkt er etwa, ich tanze hier herum?»
    «Und nicht sprechen, hat er gesagt. Auf keinen Fall, Harry. Du nicht und ich auch nicht.»
    «Warum bist du dann nicht endlich still?» Bei diesen Worten begann es in Harrys einem Mundwinkel zu zucken – schnelle, kurze, zum Kinn hinlaufende Bewegungen, die auch dann noch andauerten, als er nicht mehr sprach. Ich zog mein Taschentuch heraus und wischte ihm sehr sanft den Schweiß vom Gesicht. Ich fühlte das leichte Zucken des Muskels – es war der, mit dem er sonst lächelte   –, als ich darüberstrich.
    Ich schlich in die Küche, holte etwas Eis aus dem Kühlschrank, wickelte es in eine Serviette und zerkleinerte es so geräuschlos wie möglich. Die Sache mit dem Mund gefiel mir nicht. Und ebenso wenig die Art, wie er sprach. Ich ging mit dem

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