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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sich hin blödelten.
    Hauptanliegen der Gesellschaft schien es zu sein, alle schwachen Verben, die ihre Vergangenheitsformen durch ein angehängtes -t- bilden, derart zu stärken, daß saftige Konjunktive möglich wurden, wo die Sprache selbst sie nicht vorgesehen hatte; daß man das Licht ausknöpse, zerschülle; daß einige – wie eine sich im dekorativen Hosenanzug auf der Chaiselongue fläzende junge Dame bemerkte – wohl lieber durch die umliegenden Kneipen zögen und zöchen (zu: zechen, zoch, gezochen), als daß sie hier säßen, stünden oder, nach dem einen oder anderen Cocktail, schlöffen oder im Stehen schliefen. Mit besonderem Grimm vermork man, daß übles Gesindel, lichtloses Gelichter, jüngst sich dazu aufschwünge oder sich gar erdrisse, einerseits alle möglichen starken Konjunktive durch die ausschließlich der zukünftigen Unwahrscheinlichkeit vorbehaltene Bildung mit »würde« zu ersetzen, andererseits ausgerechnet das schwache »brauchte«, das gar keinen Umlaut bilden dürfe, zu »bräuchte« erhöbe. Man stimmte über mehrere Umbildungs-vorschläge ab; die Gesellschafter schworen feierlich, hinfort nur noch »streben, strab, gestroben«, mit der Wahlmöglichkeit »sträbe/ströbe«, ferner »hoffen, huff (hüffe), gehuffen« sowie »schmusen, schmos, geschmosen« mit der bewegenden Möglichkeit »schmöse« zu verwenden. Baltasar, als Gast des Abends, äußerte zwischendurch: »Ich verwünde es nimmer, enthöpfe meinem Gemäul jemals ein schwächlich ›würde‹, es sei denn, ich söffe derart, daß es mir Sprechen und Sein verschlüge«, wofür er geziemenden Beifall erhielt. Zur Lösung des Problems, wie solcherlei Bildungen erreichbar seien, wenn das zu stärkende Verb hinderliche Zwischenkonsonanten aufwiese, etwa in Fällen wie »zeichnen« oder »speichern«, schlug ein pensionierter Oberförster in Tweed und grönem Hötchen vor, man solle dann den hemmenden Mitlaut an eine andere Stelle verschieben, so daß es etwa laute »zeichnen, zinch, gezinchen oder gezichnen« beziehungsweise »speichern, spirch, gespirchen oder gespichern«; durch dieses listige Verfahren sei zwar kein Umlaut möglich gemacht, doch werde immerhin die Bildung eines eindeutigen Konjunktivs durch Anfügung eines -e erleichtert.
    In ähnlicher Weise vergnög man einander durch die Erörterung zusammengesetzter Adjektive, die bekanntlich nur in ihrem ersten Teil gesteigert (gestirgen) werden, zumal »nächstliegend« ja auch näherliegend sei denn »naheliegendst«. Eine kleine Debatte über die Vorzüge und Nachteile eines kürzlich erschienenen Buches über die Schwierigkeiten des farbenblinden Gummistiefelmörders angesichts violett gesprenkelter Kühe, welche ihm die Konjunktive verböten, beschloß den Abend. Vor dem Ende desselben toschen Matzbach und Stücker grinsend ihre Adressen aus.
    Bei der Heimfahrt beschäftigten Baltasar mehrere Fragen. Einige waren grammatikalischer Natur; andere betrafen Stücker und seine Ansichten. Waren das Scherze eines intelligenten Menschen im Rahmen eines Gesellschaftsspiels, oder möglicherweise doch Ernst? Und wie kam der wohl eher an juristischem denn an gutem Deutsch interessierte Anwalt Naumann in diese Runde? Schließlich jedoch huk Matzbach den Tag als vergangen und vergessen ab und hopf in seine Koje.

11. Kapitel
    Nach einem ereignislosen Freitag begab Baltasar sich abends – nicht, ohne zuvor telefonische Erlaubnis eingeholt zu haben – zu Ariane. Er war dort kaum eingetroffen, als das Telefon klingelte.
    Ariane nahm ab, meldete sich, grinste und hielt Matzbach den Hörer hin. »Du wirst schon wieder gesucht. Moritz.«
    Baltasar nahm den Hörer seufzend entgegen und redete in seiner unfreundlichen Art eine Weile mit dem Journalisten. Dann blickte er Ariane an.
    »Er will vorbeikommen, mit diverser Begleitung, in Sachen Mord sowie in Sachen Kartoffeln.«
    Ariane nickte. »Sag ihm, es gibt Pfannkuchen.«
    Sie holte eine Flasche trockenen Sherry und zwei Gläser.
    »Ein wenig ist noch drin; meine frühreife Tochter hat in letzter Zeit häufig durstige Bekannte mitgebracht.«
    Baltasar schüttelte den Kopf. »Nein, gehört sich das? Wie will sie so ihr Abitur schaffen?«
    Ariane prostete ihm zu. »Wie stehen die Ermittlungen?«
    Baltasar setzte das Glas ab. »Ach, so-so. Es ist mir mit der Hilfe eines räudigen Raben, des besagten Poe, gelungen, den Tankwart ausfindig zu machen, bei dem der verhaftete Kandidat zur Tatzeit weilte. Er hat jetzt also ein Alibi und

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