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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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bestimmtes Buch oder eine aktuelle Politikerrede mit besonderem Wortmüll, oder so.«
    Baltasar nickte nachdenklich. »Ich könnte mir diese Veranstaltung gut unter dem Titel ›Tanz auf dem Vulkan‹ vorstellen. Der Ausbruch ist nicht zu verhindern, aber man sollte ihn stilvoll erwarten.«
    Frau Gabrieli nahm einen Schluck aus ihrem Sektglas. »So ist es. Wie gesagt, dadurch, daß sprachliche Nuancen aufgegeben wurden, ist die Welt nicht gemütlicher geworden. Sie wird auch nicht besser werden, wenn ab morgen alle Bewohner der Republik wieder den Konjunktiv korrekt verwendeten oder wenn man alle Politiker, die ›ich würde sagen‹ sagen, zwangspensionierte. Aber sie wird ein bißchen weniger arm sein. Sie ist arm und armselig genug, auch ohne Gestammel.«
    »Vergessen Sie nicht«, warf in diesem Moment Stücker ein, der zu ihnen getreten war, »die Ausführungen der Metalinguistik zu diesem Thema. Wenn die Sprache das Denken formt, nicht umgekehrt, dann führt Sprachverfall automatisch zu einem Verfall des Denkens, und die Welt wird noch unordentlicher, ungemütlicher und armseliger. Prost.« Er hob sein Glas, trank und zwinkerte Matzbach zu.
    Ernsthaft fuhr er fort: »Wir wissen ja, sofern wir uns für Geschichte interessieren, was aus dem Römischen Imperium geworden ist. Am Ende, so sehe ich das jedenfalls, konzentrierte sich aller Wille zur Macht und Ordnung darauf, Palastintrigen zu überstehen und bessere Getreidepreise zu erzielen. Das sind Probleme, die einem Caesar, Cicero oder Seneca lächerlich erschienen wären. In der Spätzeit des Imperium Romanum gab es Männer dieser Größenordnung nicht mehr. Merkwürdigerweise auch keine großen Stilisten ...«
    Matzbach blies einen zur Auflösung strebenden, schlampigen Rauchring an die Decke.
    »Na ja«, sagte er, »Sie können Cicero und Seneca aber nicht gerade als Exponenten der imperialen Idee hinstellen.«
    »Außerdem«, warf Frau Gabrieli ein, »hat ein Jegliches seine Zeit, wie in einem anderen, stilistisch wertvollen Buch zu lesen steht. Meinen Sie nicht, daß für das Imperium einfach die Zeit abgelaufen war?«
    Stücker zuckte mit den Schultern. »Uhren kann man vor-oder nachstellen; man kann sie auch anhalten. Man muß nur wollen. Woran ist denn das Imperium zugrundegegangen?« Er blickte Frau Gabrieli und Matzbach herausfordernd an.
    Baltasar runzelte die Stirn. »Soviel ich weiß, an Bleivergiftung.«
    Stücker nickte heftig. »Genau. Übersetzen Sie das mal. Die Führungsschicht hat sich dem Lotterleben in Wohlstand ergeben und nicht mehr über das Imperium nachgedacht, sondern nur noch über immer raffiniertere Genüsse. Dazu gehörte Wein aus immer seltsamer geformten Gefäßen und Bleiamphoren und so weiter. Elite kaputt, Imperium futsch. Wir«, sagte er mit Betonung, »sind heute in der gleichen Situation.«
    Frau Gabrieli schüttelte den Kopf und verzog indigniert den Mund. »Erlauben Sie, Herr Stücker, wir sind kein Imperium. Der Kelch ist vor vierzig Jahren knapp an uns vorbeigegangen.«
    »Richtig. Warum ist er an uns vorbeigegangen? Weil das letzte westliche Imperium, England, noch Beharrungs- und Machtwillen hatte. Andernfalls wäre Amerika zu spät gekommen, und wie nach einem britischen Aussteigen aus dem Konflikt die UdSSR allein ausgesehen hätte, weiß ich nicht. Und was war das Endergebnis? Das Empire ging zu Bruch, weil die Engländer zu lange in Wohlstand geschlafen hatten und auf dieses letzte große Ringen nicht vorbereitet waren; am Schluß haben sie gewonnen, aber sie haben es nicht überlebt. Amerika hat sich, trotz einiger Anläufe, nicht dazu aufraffen können, ein Imperium zu werden, Frankreich ist auch nicht mehr, was es mal war, und wir sowieso. Alle zusammen könnten wir noch etwas tun, aber wir versuchen es ja nicht einmal.«
    Matzbach hustete. »Meinen Sie nicht, daß manche Leute, darunter ich, Ihre Ausführungen durchaus unter ›reaktionär‹ einstufen und abhaken könnten?«
    »Sicher, das könnten sie, aber ich glaube nicht, daß sie recht hätten. Natürlich ist das alles unpopulär, aber Friedfertigkeit und der Verzicht auf jegliche Macht sind nur dann sinnvoll, wenn alle Beteiligten dafür sind und sich daran halten. Die Goten und Vandalen waren nicht so friedlich wie die Weströmer, die Türken hatten andere Vorstellungen als die Byzantiner, Hitler sah die Dinge nicht so wie die Briten und die Franzosen, und heute ...«
    Frau Gabrieli blickte ihn unter zusammengezogenen Brauen an. »Was ist

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