Und oben sitzt ein Rabe
läuft vermutlich schon wieder in der Gegend herum. Hoffentlich merkt er sich jetzt, wo er tankt. Freund Ziegler wird sich über meine Intervention gefreut haben; angeblich versucht er mich seit Tagen zu finden, um mich zu beschimpfen oder mir die Rote Karte zu zeigen oder so.«
Er nahm das Glas wieder auf und hielt es vor seine Augen. »Apart«, sagte er, während er durch Glas und Flüssigkeit Ariane betrachtete, »ein arianisches Prisma. – Außerdem habe ich fünf Leute ermittelt, mit denen der verblichene Anwalt ohne Wissen seiner Sekretärin noch seiner Kollegen zuletzt zu tun hatte.«
Er berichtete über die merkwürdigen Irrfahrten von Lorenz Fricke durch die Rhön, die Sprachwallungen der Gesellschaft zur Stärkung der Verben e. V., die munteren Sprüche von Eduard Stücker, die Kartoffeln von Christine Baginsky, die Hotelrechnung von Roland Vorwaldt und die undeutlichen Streitfälle von Hermann Albring.
»Na ja«, sagte Ariane schließlich, »das ist alles reichlich wirr. Mehr weißt du noch nicht?«
Baltasar verneinte stumm; nach einem kleinen Schluck kommentierte er: »Der Mensch ist fehlerhaft und widerwärtig. Nicht einmal ich bin vollkommen. Was erwartest du also?«
Sie lächelte. »Ein friedliches Wochenende ohne Morde.«
Baltasar beugte sich vor und streichelte ihre rechte Hand. »Gut«, flötete er, »anmutige Propyläe meines Tempelherzens, ich werde an diesem Wochenende davon absehen, jemanden zu töten. Es sei denn, um dir einen Kopf zu Füßen zu legen, und auch das nur, wenn dein Gemüt danach dürsten sollte.«
Kurze Zeit später klingelte Moritz Sturm. Er betrat die Wohnung in Begleitung zweier Menschen, die dort bisher nicht gesichtet worden waren.
»Das«, sagte er mit Grandezza, »ist die Hüterin des Hauses, Ariane Binder. Jener Kloß hinten ist Mistberg, eh, Matzbach. Darf ich präsentieren? Ich beehre mich: Andreas Goldberg, weiland Mörder, und Sarah – jetzt hab ich doch deinen Nachnamen vergessen. Wie war er gleich?«
Die hübsche, dunkelhaarige Frau lächelte. Man sah ihr an, daß sie vor kurzem länger der Sonne teilhaftig geworden war; ihre weißen Zähne blitzten, und die vom Lächeln bewirkten Ausläufer ihrer leicht erhöhten Backenknochen trafen sich knapp neben dem Grübchen im Kinn.
»Mendel«, sagte sie; »zumindest noch ein paar Wochen.«
Ariane stellte Gläser hin und deutete einladend auf einige Sitzgelegenheiten.
»Wieso?« sagte Baltasar. »Was hat das mit den Wochen zu tun? Wechseln Sie mit den Mondphasen Ihre Bezeichnungen?«
Moritz setzte sich, verknotete seine langen, dünnen Beine und sagte: »Nein. Aber wieder so ein Fall. Auch hier hat die Angst vor Scheidung nicht die Ehe verhindern können, und nun sind die Konsequenzen zu ziehen.«
»Ei ja«, murmelte Baltasar, »nicht jeder wird solcherlei Probleme mit Hilfe eines unbekannten Schützen und ohne juristischen Aufwand los.«
Andreas Goldberg zuckte sichtlich zusammen, fing sich aber rasch wieder. »Ich hörte«, sagte er höflich, »daß ich Ihnen meine Freiheit verdanke.«
Baltasar winkte ab. »Lesen Sie Sartre, dann wissen Sie erstens, woher sie kommt, und zweitens, daß sie nicht viel wert ist.«
Goldberg lachte. »Jedenfalls möchte ich mich bei Ihnen herzlich bedanken. Wie haben Sie den Tankwart gefunden?«
Baltasar breitete die Arme aus. »Fragen Sie Ihren eminenten Raben, er hat mich geführt. Übrigens ein widerliches Vieh.«
»Ich hörte bereits, daß Sie ihn in Ihr Herz geschlossen haben. Mein Großvater berichtete von der Dressur.«
Baltasar nickte. »Dann wissen Sie Bescheid.«
Er wandte sich an Sarah Mendel. »Heiraten Sie bloß nicht gleich den Jungen, wenn Sie geschieden sind. Seine Frauen enden übel.«
Sie winkte ab. »Nichts dergleichen. Ich will ihn nur ein bißchen – trösten. Er trägt schwer an dem herben Verlust.«
Ariane stand auf. »Pfui«, sagte sie, »ihr seid mir alle viel zu makaber. Ich gehe jetzt in die Küche und erhole mich bei Pfannkuchen. Ich hoffe, alle haben Hunger.«
Moritz strahlte sie an. »Bist du eigentlich schon vergeben? Man findet selten Menschen, denen zur rechten Zeit das Rechte einfällt.«
Als Ariane gegangen war, zog Moritz aus seiner prallen Aktentasche vielerlei heraus.
»Hier«, sagte er, indem er Matzbach einige Fotos hinschob. »Ich glaube, Andreas hat sie auch noch nicht gesehen. Ich habe aber Zweifel, ob er sie unbedingt wird sehen wollen.«
Goldberg verzog das Gesicht und winkte ab. »Nicht dringend«, sagte er leise. »Mir
Weitere Kostenlose Bücher