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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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fielen mir ins Bett. Es war ganz schön mühsam, alle einzeln herauszusuchen.«
    Die Nachbarin nickte mitfühlend. »Sochen Sie lange, oder ging es schnell?«
    »Ach, wie gesagt, es war mühsam.«
    Baltasar verschluckte sich nicht an seinem Wein, er riß nun aber doch ein wenig die Augen auf. An der Kopfwand des Raums hing ein Schild mit dem Kategorischen Konjunktiv
Das Würde des Deutschen sei antastbar!
    Matzbach lauschte eine Weile den ringsumher ablaufenden Gesprächen, in denen immer wieder seltsame Imperfektformen seine Aufmerksamkeit heischten; dies um so mehr, als in normalen Gesprächen, im üblichen mündlichen Umgang, mit wenigen Ausnahmen, Vergangenes im zusammengesetzten Perfekt berichtet wird. In dieser Runde verwandten die Sprecher nicht nur Imperfekte, sondern diese fast immer in einer unüblichen Form. Nach einer Weile nahm er die Gelegenheit wahr, sich mit Frau Gabrieli zu unterhalten.
    »Sagen Sie, Madame«, bat er, »ich habe den Namen Ihrer Gesellschaft irgendwo gelesen und war, natürlich, neugierig. Deshalb habe ich Sie angerufen, um Näheres zu erfahren. Viel mehr wollten Sie mir ja nicht erzählen; Sie meinten ja, ich solle kommen und mich selbst überzeugen. Nun bin ich hier. Ich finde die reizenden Imperfekte äußerst unterhaltsam, wüßte aber doch gern, was die Zielsetzung Ihrer Gesellschaft ist.«
    Frau Gabrieli lächelte, vielleicht ein wenig spöttisch. »Oh, das ist ganz einfach. Sie werden unser Leitmotiv bemerkt haben.«
    Sie wies auf den Kategorischen Konjunktiv. Baltasar nickte.
    »Sehen Sie, es gibt einige Menschen, die aus ästhetischen Gründen gegen die Verflachung der Ausdrucksmöglichkeiten sind. Natürlich kann und will niemand die normale Entwicklung der Sprache aufhalten, sonst wären wir noch immer bei Latein. Wir empfinden lediglich, daß durch Preisgabe zahlloser Ausdrucksmöglichkeiten die Welt weder besser noch gemütlicher geworden ist. Es ist eine Preisgabe ohne Gegenleistung.«
    Sie musterte ihn sinnend. »Ich weiß nicht, ob Sie zu diesem Thema überhaupt ein Verhältnis haben.«
    Baltasar drehte den Stiel seines Weinglases hin und her. »Natürlich«, sagte er, »habe ich dazu ein Verhältnis. Ich hätte allerdings Schwierigkeiten, wenn ich Ihnen genau angeben sollte, wie dieses Verhältnis beschaffen ist.«
    »Verstehe ich Sie richtig ...«
    »Sie verstehen richtig. Einer unserer verführenden Politiker sprach neulich von einem Unverhältnis zwischen aufgewandten Mitteln und erreichtem Ergebnis. Das ist, natürlich, blanker Nonsens. Zwischen zwei verglichenen Dingen gibt es kein Un-Verhältnis, denn auch eine Relation von, sagen wir, eins zu einer Milliarde ist ein Verhältnis, wenn auch ein unausgewogenes. Mein Verhältnis zu Ihrem Anliegen ist wahrscheinlich minder denn Ihres, aber ich bin ja gekommen, um mich informieren und vielleicht anwerben zu lassen.«
    Stücker unterhielt sich angeregt mit mehreren Leuten, die in einem Kreis um einen Louis-Quinze-Fauteuil standen. Frau Gabrieli bat um Feuer für ihre Zigarette.
    »Wir werben nicht«, sagte sie dann; »wir wissen genau, daß alles vergebens ist. Wir betreiben das als ein schöpferisches Spiel gegen die modernen Pädagogen, die ihre Schüler B-l-ö-t-z-i-n schreiben lassen, weil sie ja verstehen, daß sie Blödsinn meinen.«
    Baltasar suchte in seiner Jacke nach den Zigarren. »Ja, das hat aber noch einen Aspekt. Die armen Kinder müssen sich später mal irgendwo um eine Anstellung bewerben, und dazu sollten sie in der Lage sein, einen orthographisch einwandfreien Lebenslauf abzuliefern. Nicht alle prospektiven Arbeitgeber können sich in ihrer geistigen Verwirrung mit den Kulturbürokraten messen.«
    Frau Gabrieli blinzelte. »Sie haben natürlich recht, aber die praktischen Probleme sind so groß, daß wir hier uns nur theoretisch damit befassen können. In Spielform.«
    »Nichts ist ernster als ein Spiel«, sagte Matzbach geziert. »Um es sinnvoll zu spielen, muß man strikte Regeln einhalten; das unterscheidet es von der sogenannten Realität, die vor allem daraus besteht, daß man einige Systeme von Regelbrüchen auszutarieren sucht. – Aber nun erzählen Sie mir doch mal, was hier an den Abenden geschieht.«
    Sie deutete mit einer ungenauen Armbewegung auf die Leute, die herumstanden oder -gingen, tranken und dabei mit wechselnden Gesprächspartnern diskutierten.
    »Heute, bis jetzt jedenfalls, sieht es nach einem allgemeinen Reden aus«, sagte sie. »Manchmal besprechen wir spezielle Themen; ein

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