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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Treibgut seiner Tätigkeiten und Nahrungsgewohnheiten, wie eine feiste Spinne im selbstgehäkelten Netz. Er beantwortete zwei dusselige Problembriefe mit der
Frau Griseldis
anstehenden Weisheit, an der es ihm im übrigen gebrach. Zwischendurch führte er Selbstgespräche, in denen er sich beim Schicksal bitterlich darüber beklagte, daß die unwahrscheinlichen Zufälle, auf die er in allen Lebensbereichen vertraute, ihn diesmal im Stich ließen. Schließlich ergriff ihn Verzweiflung bei der Überlegung, dieses könne sich, über die Detektivspielerei hinaus, demnächst auf alle Bereiche seines Daseins ausdehnen.
    Dann ermannte er sich, stieß eine Reihe kräftiger Flüche aus, stieg in seine weiträumige Jacke und verließ wütend sein Domizil.
    In einem nahen Lokal nahm er ein reichhaltiges Mahl zu sich, bestehend aus einer fürchterlich gesunden Gemüsesuppe, einer umfangreichen Rinderroulade mit Kohlfüllung, dazu Kartoffeln – keine bolivianischen – und als Nachtisch überbackenen Camembert; Kaffee und Calvados brachten ihn in eine etwas bessere Stimmung. Gestärkt verließ er das Lokal, ging zu seinem Wagen und lenkte ihn nach Oberdollendorf, in die rechtsrheinische Nacht.

2. Kapitel
    In der obwaltenden Finsternis, schwächlich bekämpft durch müde Laternen, nahm sich Stückers Domizil dämonisch aus. Es lag zu Füßen eines der nördlichsten Weinberge Europas, hatte mindestens acht Generationen überdauert und bröckelte noch nicht. Matzbach parkte seinen Wagen vor dem Eingang, warf einen Blick auf seine Borduhr – 21:05 – und begab sich zur Haustür.
    Stücker hatte ihn offenbar erwartet oder war zufällig in der Diele gewesen, denn er öffnete sofort.
    »Ah, Herr Matzbach«, sagte er, »pünktlich, pünktlich.«
    Einladend deutete er auf eine geöffnete Tür, hinter der mattes Licht einen feudalen Salon skizzierte. Matzbach salutierte dankend und ging hinein. Stücker folgte ihm, blieb aber im Rahmen stehen.
    »Ich war gerade in der Küche mit einem Assamtee befaßt. Trinken Sie so was, oder möchten Sie etwas anderes?«
    »Immer zu, lassen Sie sich nicht stören. Ich trinke mit.«
    Stücker grinste, deutete mit einem verwaschenen Halbkreiswedeln seines rechten Arms auf eine Mehrzahl von Sesseln und Couches und verschwand in der Küche.
    Matzbach wanderte langsam durch den weitläufigen Raum. Das Mobiliar war nicht gerade uralt, aber doch schon für bessere Brieftaschen. Auf einem fein geschnittenen alten Stehpult prangte ein marmorner Gaius Julius Caesar. Baltasar sah ihm nachdenklich in die Augen.
    Die Teppiche waren echt und mußten allein ein Vermögen gekostet haben; bei den meisten Bildern war Matzbach nicht sicher, abgesehen von einem Miró. Wie jeden lesenden Menschen zog zunächst einmal das fremde Bücherregal Baltasar an. Er war noch bei der Inspektion, als Stücker mit einem Tablett erschien.
    »Ah«, sagte er, »der Herr lesen.«
    Er stellte das Tablett auf den Couchtisch, entzündete die Kerze eines Stövchens und deponierte auf diesem eine kostbare silberne Teekanne. Hauchdünne Porzellantassen, ein Töpfchen mit Sahne, ein weiteres Töpfchen mit hellem Kandis wurden strategisch verteilt. Matzbach riß sich von den Büchern los und ging zum Tisch.
    Als sie einander gegenübersaßen, goß Stücker den Tee auf die mit Anmut in die Täßchen gehäuften Kandisstückchen.
    »Ach ja«, sagte Baltasar versonnen, »Meißen ist ein schönes Städtchen.«
    Stücker grinste abermals. »Na ja, so schön nun auch wieder nicht. Aber diese netten alten Näpfchen machen schon was her.«
    Baltasar bediente sich reichlich mit Sahne und brach die Ebene des hohen Teestils erbarmungslos mit einer stinkenden Zigarre. Stücker stand auf und holte einen älteren, nicht ganz billigen Aschenbecher. Dann musterte er seinen fetten Gast.
    »Ich hörte«, sagte er gedehnt, »daß Sie gelegentlich an einem mysteriösen Mordfall arbeiten.«
    Baltasar legte die Zigarre in den Aschenbecher.
    »Aha«, sagte er verblüfft.
    Stücker zwinkerte mit dem rechten Auge. »Ich habe heute nachmittag in einer Vereinsangelegenheit mit Frau Gabrieli telefoniert, als Sie gerade gegangen waren.«
    »Ich bekenne versäumt zu haben, die Dame zur Verschwiegenheit aufzufordern.«
    Stücker nahm einen Schluck Tee. Wie beiläufig sagte er: »Kann es sein, daß Ihr Besuch, der mir willkommen ist, nicht privater oder linguistischer, sondern krimineller Natur ist?«
    Baltasar seufzte. »Na schön, wenn Sie darauf bestehen: ja. Obwohl ich es

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