Und oben sitzt ein Rabe
Tage.«
Hoff hängte wortlos ein.
In einem weiteren Telefonat erfuhr Baltasar, daß auch Moritz nichts mehr zu berichten wußte und sich außerdem jede weitere Belästigung verbat. Danach rief Matzbach Frau Baginsky an, teilte ihr kurz mit, wer er sei und warum er sie zu sprechen wünsche, und vereinbarte ein Treffen am Abend.
Dieses Treffen war nicht unangenehm, aber ergebnislos. Frau Baginsky war eine charmante Gesprächspartnerin und berichtete viele interessante Dinge über die zehntausend Sorten Kartoffeln, die Verhältnisse auf dem bolivianischen Alti-plano, die Arbeit des Kartoffelinstituts in Lima, die Versuche, neue Kartoffeln mit bestimmten Eigenschaften zu züchten und in den Hungergebieten der Welt heimisch zu machen, und ihre Versuche, auf dem europäischen Markt eine von ihr entwickelte Abart gewinnbringend loszuwerden. Das Essen in dem Lokal, in dem sie sich trafen, war ausgezeichnet, aber Baltasar fuhr einigermaßen unerfreut zu seinem Domizil zurück, denn er hatte nichts erfahren, was ihm in seiner Suche nach dem Mörder helfen konnte. Man hatte auch über Mord geredet. Frau Baginsky wußte reizende Geschichten von Indiogiften zu erzählen. Danach war man auf südamerikanische Literatur gekommen und die vielerlei Arten des Todes in den Werken der neueren Autoren.
»Besonders«, hatte sie gesagt, »hat es mir Borges angetan. Kennen Sie den? Dieser Argentinier, der besser ist als alles, was zur Zeit in Europa schreibt, und der trotzdem nie den Nobelpreis kriegen wird.«
»Flüchtig. Warum wird er den Preis nie bekommen?«
»Ach, er widerspricht sich selbst mit Lust. Die europäischen Leser und Kritiker finden das amüsant, solange es sich um Spitzfindigkeiten auf dem Gebiet des Geistes, der Philosophie oder so handelt. Er spielt aber genauso mit politischen Äußerungen, in denen er sich mit der gleichen Lust selbst widerlegt. Alles Teil seines großen Spiels, jede Weltanschauung zu widerlegen, weil für ihn Religion und Philosophie Zweige der phantastischen Literatur sind. Und jedes System, das die Gesetze des Universums zu erklären versucht, ordnet jeweils einem Aspekt alle anderen unter. Was weiß ich – das Kreuz, der dialektische Materialismus oder, was mich betrifft, die Kartoffel als Nabel des Kosmos. Jedenfalls nimmt man ihm hier seine politischen Scherze übel, die man nicht als Scherze erkennen will. Ein Mitglied der Nobelkommission hat gesagt, er wird den Preis aus politischen Gründen nie bekommen. Egal – jedenfalls spielt er auch sehr schön mit dem Tod. Er hat da so ein System von Symbolen in seinen Texten. Wenn jemand etwas erkennen könnte, im Sinne philosophischer Erkenntnis, taucht meistens ein Turm oder eine Leiter auf, und jemand, der stark ist, ist in diesen Geschichten fast immer von kräftigen Farben oder stabilen Formen umgeben, einem Quadrat, zum Beispiel. Wenn jemand stirbt, wirft die Abendsonne bleichrotes Licht durch Scheiben, die wie Rhomben geformt sind, und so. Das ist alles sehr schön und sehr perfekt.«
Irgendwie ließen Matzbach die Rhomben nicht los. Am folgenden Morgen, Dienstag, besorgte er sich ein paar Bücher und begann Geschichten zu lesen, in denen Labyrinthe, Spiegel, Türme aus Blut, Tiger und Kompasse vorkamen. Am Nachmittag riß er sich davon los und rief Frau Gabrieli und Herrn Stücker an. Mit ihm verabredete er sich für den Abend in Stückers Wohnung; danach warf er sich in seinen Wagen und suchte Frau Gabrieli in ihrer Wohnung auf.
Nach kurzem Vorgeplänkel beschloß er, ohne Umschweife zu fragen. Er erfuhr allerdings nicht viel. Frau Gabrieli sagte, Naumann sei an dem betreffenden Mittwoch fast vier Stunden bei ihr gewesen, um die genauen Zielsetzungen der zu gründenden GmbH durchzusprechen und die finanziellen Aspekte zu berechnen. An Sitzungen der Gesellschaft habe er zweimal teilgenommen; einmal vor etwa einem halben Jahr, aus Neugier, und ein zweites Mal eine Woche vor seinem Tod, Donnerstag. Es sei ein schöner Abend gewesen, noch sehr warm, und so habe man im Garten der Villa, in der sich die Gesellschaft zu treffen pflege und die ein wohlhabendes Mitglied der Vereinigung, das selbst in der ersten Etage wohne, zu diesem Zweck zur Verfügung stelle, den größten Teil des Abends verbracht. Fast alle Mitglieder seien dagewesen.
Äußerst unbefriedigt fuhr er zurück nach Bonn. Er hatte noch einige Stunden Zeit bis zu dem relativ späten Termin mit Stücker. Verdrossen hockte er an seinem Schreibtisch, umgeben vom verstreuten
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