Und Rache sollst du nehmen - Thriller
groß rauskommen. Manche können eben nicht Nein sagen, wenn man ihnen ein Ticket in die frühere Fleet Street vor die Nase hält. Gier, Ehrgeiz und ein verheerender Mangel an Moral sind eine üble Mischung.
Natürlich war mir klar, dass nicht alle Journalisten so drauf waren – allein wegen der Gesetze. Neunundneunzig Prozent dessen, was in der Zeitung steht, ist die reinste Wahrheit, andernfalls würden die Kerle ständig vor Gericht landen. Meistens berichten sie einfach, was passiert ist. Punkt. Der Überbringer der Botschaft kann nichts dafür, wenn er schlechte Nachrichten im Gepäck hat. Das hatte ich am eigenen Leib erfahren.
Als ich Sarahs Namen zum ersten Mal im Druck sah, musste ich schreien. Nicht aus Ärger, nicht aus Wut, sondern vor Schreck. Das Gebrüll kam ganz von selbst aus mir raus, ich konnte nichts dagegen tun. Ich hatte mir schon gedacht, dass es in der Zeitung stehen könnte, ich hatte mich innerlich darauf vorbereitet. Aber dann stand es auf der dritten Seite. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Es verschlug mir den Atem, die Luft entwich einfach. Ich stieß ein pfeifendes Stöhnen aus, das sich einen halben Gedanken später in einen erstickten Schrei verwandelt hatte. Dann spürte ich die Arme ihrer Mutter um meine Schultern, was den Schock etwas erträglicher machte, aber der Schmerz blieb. Ihr Name hätte nicht in der Zeitung stehen sollen, außer sie hatte einen Preis gewonnen oder kam an die Uni oder heiratete, oder um irgendetwas anderes zu feiern. Aber nicht deswegen! Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein, das war nicht richtig. Noch dazu auf der dritten Seite. Das war einfach nur falsch.
Ich war schwach. Ich hätte es kommen sehen müssen, und ich hatte versagt.
Doch es gab auch andere Reporter. Viele waren wirklich
anständig oder erweckten zumindest den Eindruck. Klar, einige haben sich erst auf unsere Seite geschlagen, um kurz darauf das Lager zu wechseln und uns mit Dreck zu bewerfen, aber die meisten hielten, was ihre verständnisvollen Worte versprochen hatten. Journalisten sind auch nur Menschen, und einige von ihnen tauchten bei uns zu Hause auf und redeten mit ihr und mir. Die Sache lag ihnen wirklich am Herzen. Manche weinten sogar, weinten aufrichtig. Weil es ihnen aufrichtig am Herzen lag.
Diese Leute, die Guten, hatten selbst Kinder, und deshalb waren sie im Grunde fuchsteufelswild. Es regte sie wirklich auf, es pisste sie unglaublich an, was Ogilvie getan hatte. Ich sah es in ihren Augen. Ein Typ, der vielleicht Mitte dreißig war, konnte mir während unseres Gesprächs nicht mal in die Augen schauen. Er blickte aus dem Fenster, offenbar ohne irgendetwas zu sehen, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich an Ihrer Stelle … meine Söhne …« Dann schüttelte er wieder den Kopf und schwieg. Aber ich wusste, er hätte es tun können. Ich sah es in seinen Augen. Es war ein schmaler Grat – eine einzige Sekunde, ein einziges unfassbares, abgrundtief schreckliches, hirnzerrüttendes, völlig wahnsinniges Ereignis, nach dem nichts mehr ist wie zuvor, und er wäre am selben Punkt gewesen wie ich. Was ich natürlich keinem wünschte, Gott bewahre. Das heißt, nicht gerade Gott. Mit Gott war ich fertig, aber bewahren sollte man die Leute trotzdem vor meinem Schicksal. Das wünschte man keinem an den Hals.
Die Begegnungen mit diesen guten Journalisten waren
sogar gewissermaßen tröstlich. Sie beruhigten mich fast ein bisschen, sie überzeugten mich beinahe davon, dass die Menschen in der Tiefe ihres Herzens grundanständig waren. Fast, aber nicht ganz.
Denn alles, was es brauchte, um die ganze Schar der Guten in die Knie zu zwingen, war ein verdammtes Arschloch.
Scheiß auf die Arschlöcher. Scheiß auf Keith Imrie.
Der rasende Reporter des Daily Record war der König der Arschlöcher. Der Fotzenkönig, der Schlimmste der Schlimmen. Er hatte förmlich darum gebettelt, und er hatte bekommen, was er verdiente.
Was für ein Vater würde für die eigene Tochter nicht alles tun?
Als ich nach Milngavie aufbrach, um Jonathan Carr zu töten, dachte ich an Keith Imrie. Ich sah sein Gesicht im Rückspiegel und lächelte ihm zu. Ja, ich grinste bis über beide Ohren.
Denn ich wusste mehr als er. Viel mehr. Zum Beispiel, dass ich nicht nur die Reifen gewechselt hatte, sondern auch die Schuhe. Ich hatte uns beiden neue Latschen angezogen, dem Auto und mir. Wenn man sich schon etwas vornimmt, sollte man sich wenigstens Mühe geben.
Als ich auf Jonathan Carr zuging, als ich
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