Und Rache sollst du nehmen - Thriller
und Regenjacke. In der Gesäßtasche meiner Jeans steckte eine eingerollte Zeitung. Aus Zeitungen oder den Leuten, die für sie schrieben, machte ich mir nicht besonders viel. Ich hatte ein paar Journalisten kennengelernt. Nicht mein Fall. Sie tun so, als wären sie dein Freund, als wollten
sie nur dein Bestes, nur deine Sicht der Dinge darstellen. Und später, wenn sie dann Sachen geschrieben haben, die du nie gesagt hast, wenn sie dir die Worte im Munde herumgedreht haben, ist es nie ihre Schuld gewesen. Der Chefredakteur hat darauf bestanden, der Vize hat die Schlagzeile verfasst, mit ihnen hat das alles nichts zu tun.
Aber sobald man etwas schwarz auf weiß lesen kann, ist es natürlich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Sobald es irgendwer in die Spalten einer Zeitung geklatscht hat, glaubt jeder, dass es sich um Tatsachen handeln muss. Es stimmt schon, die Feder ist mächtiger als das Schwert. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, eine Zeitung als Waffe zu verwenden.
Ich spürte das Gewicht der eingerollten Zeitung in der Gesäßtasche. Ein beruhigendes Gefühl.
Warten, warten, warten.
Schließlich öffnete sich die Haustür. Brian Sinclair winkte kurz, schloss die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg. Den Hund hatte er nicht dabei, was bedeutete: Es war so weit.
Ich gab ihm fünf Minuten Vorsprung, ehe ich das Haus in einiger Entfernung umrundete, in denselben Pfad wie Brian einbog und tief in den Wald vorstieß.
Es ging ziemlich steil bergauf, aber das war kein Problem für mich. Ich musste es so weit schaffen, dass mir mit ziemlicher Sicherheit nur eine einzige Person begegnen würde. Gleichzeitig durfte ich später nicht allzu lang brauchen, um wieder aus dem Wald rauszukommen.
Ich erreichte die Stelle, die ich im Voraus ausgespäht
hatte, setzte mich auf einen großen Stein und wartete wieder mal. Es konnte nicht lang dauern.
Mein Timing war gut. Nach nur drei Minuten hörte ich Schritte. Brian befand sich auf dem Rückweg.
Ein leises Kratzen, das zu einem mächtigen Lärm anschwoll. Füße galoppierten durch Blätterhaufen und über festgetretene Erde. Immer näher, immer lauter. Er rauschte heran.
Nur noch wenige Sekunden. Mein Herzschlag passte sich Brians Schrittfrequenz an, mir wurde kalt. Nein, heiß. Mein Puls trommelte, mein Blut brodelte, Hitze strömte durch das Eis, das meine Adern ausfüllte, durch mein tiefgefrorenes Herz. Mir war heißkalt. Eisig heiß.
Dann war er plötzlich da. Er bog um die Ecke, keine zehn Meter vor mir. So nah hatte ich ihn noch nie vor mir gehabt. Er war größer, als ich gedacht hatte, knapp eins neunzig, mit kurzem, blondem Haar. Frisch gebräunt von den Flitterwochen. Glücklich.
Als er mich entdeckte, lächelte er. Das ließ mich stutzen, aber nur ein bisschen. Es kam mir schon seit längerem komisch vor, wenn mich Fremde anlächelten. Fremde waren mir fremd. Aber ich wusste, dass es nur mir so ging. Ich hatte eben keinen Grund mehr zum Lächeln. Ich hatte kaum noch Gründe, irgendetwas zu tun, bis auf das eine.
Doch Brian Sinclair tickte nicht wie ich. Er mochte Menschen, er lächelte Fremde freundlich an. Und eventuell war ich ihm auch nicht ganz unbekannt. Sein Blick schien zu signalisieren, dass er meinem Gesicht schon mal begegnet war. Was natürlich gut möglich war.
Einen ganzen Monat lang hatte ich ihn aus der Ferne beobachtet. Ich hatte gesehen, wie er sein Haus am Fluss verließ, wie er an seiner Zahnarztpraxis ankam, wie er laufen ging, wie er vom Laufen heimkehrte.
Ich hatte gesehen, wie sie Spaziergänge machten, stets Hand in Hand, stets lachend und flüsternd. Ich hatte gesehen, wie sie ihren Springer Spaniel ausführten – manchmal ging Brian, manchmal Mary, aber meistens gingen Mr und Mrs Sinclair gemeinsam. Sie waren gerne zusammen, sie kuschelten sich in ihre Zweisamkeit.
Sie wussten nicht, was ich wusste.
Brian Sinclair stand vor mir und schaute mich an, als wollte er sagen: Hey, ich kenne Sie doch! Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, woher, aber wir haben uns schon mal getroffen, oder?
Dass er mich erkannte, beglückte mich nicht besonders. Aber auf längere Sicht war es irrelevant.
Da entdeckte Sinclair, dass ich mir das Fußgelenk hielt. Ich saß auf dem Stein, rechts war die Jeans bis zur Wade hochgeschoben.
Natürlich hatte ich mir nicht den Knöchel verstaucht. Brian irrte sich.
Ob ich in Ordnung wäre, erkundigte er sich. Ja, antwortete ich, mit einer Stimme, die das Gegenteil bekundete.
Er
Weitere Kostenlose Bücher