Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)
wiederholte er.
»Es war natürlich belastend«, sagte sie knapp. »Zu jener Zeit gab es keine Selbsthilfegruppen. Man musste allein mit seinen Problemen fertig werden.«
»Und wie haben Sie das gemacht?«
»Ich habe mich von Christer scheiden lassen«, antwortete sie mit einem schiefen Lächeln. »Wir konnten nicht mehr zusammen weitermachen nach dem, was passiert war. Es gab nichts mehr, was uns zusammenhielt. Er packte seine Sachen und zog nach Stockholm, und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich bin hierher gezogen. In der alten Wohnung konnte ich nicht bleiben.«
»Geben Sie ihm die Schuld an dem Unglück?«, fragte Sjöberg geradeheraus.
Sie betrachtete ihn forschend, bevor sie antwortete.
»Damals habe ich es getan. Das muss ich zugeben. Ich bin eines Morgens aus dem Haus gegangen, und als der Arbeitstag zu Ende war ... hatte ich keine Familie mehr. Er hat die Jungen weggegeben. Zu irgendwelchen Menschen, die keine eigenen Kinder hatten. Er hätte sich um sie kümmern müssen. Das hat er aber nicht getan.«
»Und jetzt? Machen Sie ihm immer noch Vorwürfe?«
»Nein, jetzt wohl nicht mehr. Ich denke selten an ihn. Aber als Sie das da gesagt haben ...«
»Seine Depressionen, meinen Sie?«, fragte Sjöberg.
Sie nickte.
»Da hat er mir tatsächlich leidgetan. Es war ja nicht sein Fehler. Sie haben den Fehler gemacht.«
»Sie?«
Sjöberg wollte, dass sie ihre Namen aussprach, aber das hatte sie offensichtlich nicht vor.
»Eigentlich nur die Frau«, korrigierte sie sich. »Sie kannte die Jungen doch. Sie wusste, wie sie waren.«
»Aber Solveig hat doch die Schuld sofort auf sich genommen?«, hakte Sjöberg nach.
»Das bedeutet ja nicht, dass alles auch gleich vergeben wäre«, sagte Ingegärd Rydin und spannte ihre Lippen fest um das Mundstück. »Bestimmte Dinge kann man nicht verzeihen, so sehr man es auch möchte.«
»In ihrem Fall geht es ja in erster Linie auch nicht darum, dass Sie ihr verzeihen. Sie konnte sich selbst niemals vergeben. Wissen Sie, was mit ihr passiert ist?«
Ingegärd Rydin nickte und wandte das Gesicht zum Fenster.
»Und Einar, haben Sie irgendwann noch mal Kontakt zu ihm gehabt?«, fragte Sjöberg.
Sie richtete ihren Blick wieder auf ihn und antwortete, ohne den Schlauch aus dem Mund zu nehmen:
»Zu Anfang war er sehr hartnäckig, wollte uns nicht in Ruhe lassen. Bat uns um Vergebung und wollte uns auf jede mögliche Art und Weise Schadensersatz leisten. Aber wir wollten nichts von ihm wissen. Schließlich war unser Verlust mit Geld nicht aufzuwiegen. Am Ende gab er auf. Er hat nie wieder von sich hören lassen, seit ich von dort weggezogen bin.«
»Empfinden Sie immer noch Verbitterung ihm gegenüber?«, fragte Sjöberg, dem durchaus bewusst war, dass er sich jetzt auf dünnem Eis bewegte, aber sie antwortete ohne zu zögern:
»Sie hatten die Verantwortung für unsere Kinder, und sie haben sie schlecht wahrgenommen. Wie gesagt, gewisse Dinge lösen sich nicht in Luft auf, nur weil man um Verzeihung bittet.«
»Und Mikael?«, versuchte Sjöberg sie zu provozieren. »Ist er in diesem Geist der Unversöhnlichkeit erzogen worden?«
Ingegärd Rydin betrachtete ihn mit einem Blick, der beinahe erstaunt wirkte.
»Mikael ist aufgewachsen, ohne von diesen Menschen jemals etwas gehört zu haben. Er wusste nicht, was mit seinen Geschwistern passiert ist.«
Sie hatte diese Frage mit einem gewissen Stolz in der Stimme beantwortet. Sjöberg reagierte sofort auf die Vergangenheitsform.
»Wusste?«
»Ja, bis ich ihm von den Jungen und dem Unfall erzählt habe. Und das habe ich erst getan, als er erwachsen war.«
»Wann war das?«
»Vor ein paar Jahren. Drei oder vier vielleicht. Als ich krank geworden bin. Ich war der Meinung, dass er ein Recht darauf hat, seine Vergangenheit zu kennen. Ich werde das hier nicht überleben, wie Sie vielleicht schon verstanden haben.«
»Sie meinen, dass er erst dann erfahren hat, dass es die Jungen überhaupt gab?«
Sie nickte.
»Ich habe ihm Bilder von ihnen gezeigt. Ja, auch von uns allen zusammen. Ich selbst schaue sie mir niemals an, aber ich fand, dass es für ihn an der Zeit war, zu erfahren ... wie es war.«
»Haben Sie ihm auch erzählt, wer sein Vater ist?«, fragte Sjöberg mit einem Blick, von dem er hoffte, dass er durchdringend wirkte.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt dann aber inne, um ihn neugierig zu betrachten, bevor sie schließlich antwortete.
»Nein. Das kann noch ein bisschen warten. Ich
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