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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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nicht lange. Wie sollte er auch? Nachdem er die fetten weißen Damen etwa drei Wochen lang als wandelndes Gerippe nervös gemacht hatte, fing er an, Zeug zu vergessen, wurde desorientiert, gab Kundinnen falsch Geld heraus, beschimpfte die Leute. Und schließlich setzte er sich in einem Gang einfach mitten auf den Boden und konnte nicht mehr aufstehen. War zu krank, um allein nach Hause zu fahren, deshalb riefen die vom Job bei uns an und klingelten mich glatt aus dem Bett. Ich holte ihn im Büro ab, wo er mit gesenktem Kopf saß, und als ich ihm aufhalf, heulte die kleine Spanierin, die sich um ihn gekümmert hatte, los, als ginge es in die Gaskammer. Er hatte tierisch hohes Fieber. Ich konnte die Hitze durch den Jeansstoff seiner Schürze spüren.
    Mein Gott, Rafa, sagte ich.
    Er hob nicht mal den Blick. Murmelte nur, Nos fuimos.
    Er streckte sich auf der Rückbank seines Monarchs aus, während ich uns nach Hause fuhr. Ich glaube, ich sterbe.
    Du stirbst nicht. Und wenn doch, bekomme ich dein Auto?
    Mein Schätzchen kriegt niemand. Darin lasse ich mich begraben.
    In dieser Schrottkiste?
    Ja. Mit meinem Fernseher und den Boxhandschuhen.
    Bist du plötzlich Pharao geworden?
    Er reckte einen Daumen hoch. Und dich kleinen Sklaven begraben wir im Kofferraum.
    Das Fieber hielt sich zwei Tage, aber es dauerte über eine Woche, bis es ihm halbwegs besser ging, bis er mehr Zeit auf dem Sofa verbrachte als im Bett. Ich rechnete fest damit, dass er schnurstracks zu Yarn Barn zurückmarschierte, sobald er wieder auf den Beinen war, oder sich bei den Marines bewarb oder so. Meine Mutter befürchtete das auch. Sagte ihm bei jeder Gelegenheit, daraus würde nichts. Das erlaube ich nicht. Ihre Augen hinter der schwarzen Madres de Plaza de Mayo-Brille schimmerten. Das tue ich nicht. Ich, deine Mutter, werde es nicht erlauben.
    Lass mich in Ruhe, Ma. Lass mich in Ruhe.
    Man merkte, dass er was Dummes vorhatte. Immerhin wollte er nicht wieder zu Yarn Barn.
    Dafür zog er los und heiratete.

    Erinnert ihr euch noch an die kleine Spanierin, die bei Yarn Barn seinetwegen geheult hatte? Tja, wie sich zeigte, war sie Dominikanerin. Nicht so wie mein Bruder oder ich Dominikaner waren, sondern
richtige
Dominikanerin. So eine Seit-fünf-Minuten-im-Land-und-ohne-Papiere-Dominikanerin.
    Und dazu dumm wie Scheiße. Bevor Rafa sich überhaupt erholt hatte, kam sie schon vorbei, ganz besorgt und bemüht, setzte sich mit ihm aufs Sofa und sah sich Telemundo an. (Ich habe ja keinen Fernseher, erzählte sie mindestens zwanzig Mal.) Wohnte auch in London Terrace, drüben in Gebäude 22 hockte sie mit ihrem kleinen Sohn Adrian in einem winzigen Zimmer, das sie von diesem älteren Gujarati gemietet hatte, also war es für sie kein großes Ungemach, bei ihren (wie sie uns nannte) gente zu hocken. Obwohl sie versuchte, sich anständig zu benehmen, immer die Beine übereinandergeschlagen ließ und meine Mutter Señora nannte, stürzte Rafa sich wie ein Kraken auf sie. Ab dem fünften Besuch nahm er sie mit in den Keller, sogar, wenn die Hallelujabande im Haus war.
    Pura hieß sie. Pura Adames.
    Pura Mierda nannte Mami sie.
    Wobei ich sagen muss, dass ich Pura gar nicht so schlimm fand; sie war um Längen besser als die meisten anderen Schlampen, die mein Bruder angeschleppt hatte. Irre guapísima: groß und indiecita, mit riesigen Füßen und einem unglaublich beseelten Gesicht, aber im Gegensatz zu den typischen Hammerbräuten aus der Gegend schien Pura nicht zu wissen, was sie mit ihren Vorzügen anfangen sollte, war ganz verloren in all ihrer Anmut. Eine echte campesina, von ihrer zurückhaltenden Art bis zu ihrer Art zu reden, die so volkstümlich war, dass ich nur die Hälfte verstand – sie benutzte ständig Wörter wie
deguabinao
und
estribao
. Sie kaute einem das Ohr ab, wenn man sie ließ, und war viel zu ehrlich: nach einer Woche hatte sie uns ihr ganzes Leben erzählt. Dass ihr Vater gestorben war, als sie klein war, dass ihre Mutter sie mit dreizehn für eine ungenannte Summe an einen knausrigen Fünfzigjährigen verheiratet hatte (so war sie an ihren ersten Sohn Nestor gekommen); dass sie nach ein paar Jahren dieser Scheußlichkeit die Chance bekam, den Sprung von Las Matas de Farfán nach Newark zu machen, in Begleitung einer tía, für die Pura sich um ihren zurückgebliebenen Sohn und ihren bettlägrigen Mann kümmern sollte; dass sie auch von ihnen weggelaufen war, weil sie nicht nach Nueba Yol gekommen war, um noch mal für irgendwen die

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