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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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dachte, er würde gleich ihren Kopf auf seinen Schoß ziehen, aber so was passierte nie. Es sah nicht mal so aus, als würden sie reden. Nach fünfzehn, zwanzig Minuten stieg er aus, sie fuhr weg, und das war’s.
    Was zum Teufel macht ihr da? Gedankenübertragung?
    Er tastete an seinen Backenzähnen herum – zwei hatte ihn die Bestrahlung schon gekostet.
    Ist sie nicht mit ’nem Polacken oder so verheiratet? Ich denke, sie hat zwei Kinder.
    Er sah mich an. Was weißt du denn schon?
    Nichts.
    Gar nichts. Entonces cállate la beschissene boca.
    Das hätte er von Anfang an machen sollen: es ruhig angehen, zu Hause abhängen, mein ganzes Gras rauchen (ich musste heimlich paffen, er konnte sich die Joints mitten im Wohnzimmer drehen), fernsehen, schlafen. Mami war ganz aus dem Häuschen. Manchmal strahlte sie richtig. Erzählte ihrer Gruppe, Dios Santísimo habe ihre Gebete erhört.
    Alabanza, sagte Doña Rosie, deren Augen rotierten wie Murmeln.
    Manchmal saß ich bei ihm, wenn die Mets spielten, und er sagte keinen Ton darüber, wie er sich fühlte oder was er erwartete. Nur, wenn er im Bett lag und ihm schwindlig oder schlecht war, hörte ich ihn stöhnen: Was zum Teufel passiert mit mir? Was soll ich nur machen? Was soll ich nur machen?

    Ich hätte wissen müssen, dass das die Ruhe vor dem Sturm war. Keine zwei Wochen, nachdem er sich von dem Husten erholt hatte, war er fast den ganzen Tag verschwunden, dann marschierte er herein und verkündete, er habe sich einen Teilzeitjob an Land gezogen.
    Einen Teilzeitjob?, fragte ich. Bist du bescheuert?
    Ein Mann braucht was zu tun. Er grinste so breit, dass wir seine Zahnlücken sahen. Ich muss mich irgendwie nützlich machen.
    Der Job war ausgerechnet bei Yarn Barn. Zuerst tat meine Mom so, als ginge sie das nichts an. Wenn du dich umbringen willst, bitte schön. Aber später hörte ich, wie sie in der Küche mit ihm redete, ein leiser, monotoner Appell, bis mein Bruder sagte: Ma, lass mich doch einfach in Ruhe, ja?
    Das war echt ein völliges Rätsel. War ja nicht so, als hätte mein Bruder eine enorme Arbeitsmoral, der er genügen musste. Rafas einziger Job bis dahin war es gewesen, weißen Kids in Old Bridge Stoff zu verticken, und sogar das war er extrem locker angegangen. Wenn er nur was zu tun haben wollte, hätte er damit wieder anfangen können – das wäre einfach gewesen, das habe ich ihm auch gesagt. Wir kannten immer noch genug weiße Kids in Cliffwood Beach und Laurence Harbor, einen ganzen Kundenstamm von schmierigen Zecken, aber er wollte nicht. Was ist denn das für ein Vermächtnis?
    Vermächtnis? Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Alter, du arbeitest bei Yarn Barn!
    Besser, als zu dealen. Das kann jeder.
    Und Wolle verkaufen? Können das nur echte Giganten?
    Er legte die Hände in den Schoß. Starrte sie an. Leb du dein Leben, Yunior. Ich lebe meines.
    Mein Bruder war nie gerade kopfgesteuert, aber das war der Überhammer. Ich schob es auf die Langeweile, auf diese acht Monate, die er im Krankenhaus gelegen hatte. Auf die Medikamente, die er nahm. Vielleicht wollte er sich nur normal fühlen. Ehrlich gesagt schien er sich über die ganze Sache richtig zu freuen. Zog sich für die Arbeit ordentlich an und kämmte sich vorsichtig die früher so tollen Haare, die nach der Chemo spärlich und schamhaarartig nachgewachsen waren. Plante auch reichlich Zeit ein. Darf nicht zu spät kommen. Wenn er ging, knallte meine Mutter jedes Mal die Tür hinter ihm zu, und wenn die Hallelujabande zur Stelle war, griffen alle nach ihren Rosenkränzen. Ich dröhnte mir zwar die meiste Zeit die Birne zu oder war hinter diesem Mädchen aus Cheesequake her, trotzdem schaute ich ein paarmal vorbei, um sicherzugehen, dass er nicht mit dem Gesicht nach unten in der Mohairabteilung lag. Der Anblick war echt surreal. Der härteste Typ unserer Gegend verglich wie ein Vollpfosten Preise. Sobald ich sicher war, dass er noch lebte, verzog ich mich wieder. Er tat so, als würde er mich nicht sehen, ich tat so, als wäre ich nicht gesehen worden.
    Als er seinen ersten Scheck nach Hause brachte, warf er ihn auf den Tisch und sagte lachend: Ich mache Kasse, Leute.
    Ja, klar, meinte ich, du machst die arm.
    Trotzdem bat ich ihn später an diesem Abend um einen Zwanziger. Er musterte mich, bevor er ihn herüberreichte. Ich sprang ins Auto und fuhr dahin, wo Laura angeblich mit ein paar Freundinnen abhing, aber als ich ankam, war sie schon weg.

    Dieser Quatsch mit dem Job dauerte

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