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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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passiert. Was ziemlich irre war, weil er die Hälfte der Zeit nicht wusste, wo zum Teufel er war – so sehr hatte die Bestrahlung seinem Gehirn zugesetzt –, und er in der restlichen Zeit zu müde war, um auch nur zu furzen. Durch die Chemo hatte er fünfunddreißig Kilo verloren, er sah aus wie ein breakdancender Ghoul (mein Bruder war der letzte Spinner in Jersey, der seinen Trainingsanzug und die fette Goldkette ablegte) und trug auf dem Rücken Narben von den Lumbalpunktionen, aber sein Auftritt war mehr oder minder der gleiche wie vor der Krankheit: hundert Prozent loco. Er bildete sich etwas darauf ein, der hiesige Irre zu sein, und wollte sich von einer solchen Kleinigkeit wie Krebs nicht von seinen Pflichten abhalten lassen. Nicht mal eine Woche nach seiner Entlassung zimmerte er diesem illegalen Peruaner einen Hammer ins Gesicht, und zwei Stunden später prügelte er sich im Pathmark, weil er dachte, da hätte einer Mist über ihn erzählt, verpasste dem Spinner einen schwachen rechten Schwinger auf die Futterluke, bevor ich und ein paar andere dazwischengehen konnten. Was soll der Scheiß?, schrie er immer wieder, als würden wir was total Verrücktes machen. Er wehrte sich so gegen uns, dass er sich ein ganzes Feuerwerk, lauter winzige Wirbelstürme von violetten Blutergüssen holte.
    Der Typ war figureando hart. Und schon immer ein papi chulo, also stürzte er sich natürlich sofort wieder auf seine alten sucias und schmuggelte sie in den Keller, egal, ob unsere Mutter zu Hause war oder nicht. Einmal, als Mami gerade mitten in ihrem Gebetstreffen war, kam er mit dieser Kleinen aus Parkwood reingeschlendert, die die mächtigste Kiste auf dem Planeten hatte, und ich meinte nachher, Rafa, un chín de respeto. Er zuckte mit den Schultern. Sie sollen doch nicht denken, ich würde schlappmachen. Er hing am Honda Hill ab und kam so hackedicht nach Hause, dass er klang, als würde er Aramäisch sprechen. Wer es nicht besser wusste, hätte gedacht, es ginge aufwärts mit ihm. Das Gewicht schaffe ich mir wieder drauf, ihr werdet schon sehen, erzählte er allen. Ließ sich von meiner Mutter diese fiesen Proteinshakes machen.
    Mami wollte seinen Hintern zu Hause haben. Vergiss nicht, was dein Arzt gesagt hat, hijo. Aber er meinte nur, Ta to, Mom, ta to, und tänzelte zur Tür raus. Sie hatte ihn nie im Griff. Bei mir schrie sie und schimpfte und schlug, aber bei ihm klang sie, als würde sie für eine mexikanische novela vorsprechen. Ay mi hijito, ay mi tesoro. Ich hatte mich zwar gerade richtig auf diese weiße Kleine aus Cheesequake eingeschossen, trotzdem versuchte ich auch, ihn etwas zu bremsen – He, musst du dich nicht erst mal erholen oder so? –, aber er starrte mich mit seinen toten Augen nur an.
    Jedenfalls lief der Scheißer nach ein paar Wochen auf Hochtouren voll gegen die Wand. Bekam diesen Mörderhusten, weil er sich die ganze Nacht herumgetrieben hatte, und landete für zwei Tage im Krankenhaus – was nach seinem letzten Boxenstopp (acht Monate) nicht mal richtig zählte –, und als er rauskam, hatte er sich sichtlich verändert. Er machte nicht mehr die Nächte durch und trank nicht mehr, bis er kotzte. Machte auch nicht mehr auf Iceberg Slim. Keine Tussis mehr, die auf dem Sofa saßen und seinetwegen heulten oder ihm unten den rabo bliesen. Die Einzige, die nicht lockerließ, war seine Ex, Tammy Franco, die er so ziemlich die ganze Zeit, die sie zusammen waren, körperlich misshandelt hatte. Sogar übel. Wie ein zwei Jahre langer Spot für eine Aufklärungskampagne. Manchmal war er so wütend auf sie gewesen, dass er sie an den Haaren über den Parkplatz geschleift hatte. Einmal war dabei ihre Hose aufgegangen und bis zu den Knöcheln runtergerissen worden, und wir konnten ihren toto und alles sehen. Dieses Bild verband ich immer noch mit ihr. Nach meinem Bruder hatte sie einen weißen Typen bestiegen und schneller geheiratet, als man Ich will sagen kann. Ein schönes Mädchen. Kennt ihr noch dieses Hiphopstück »Fly Tetas« von José Chinga? So war Tammy. Verheiratet und schön und immer noch hinter meinem Bruder her. Es war komisch, aber wenn sie vorbeischneite, kam sie nicht in die Wohnung, keinen Schritt. Sie hielt mit ihrem Camry vor dem Haus, und er ging raus und setzte sich neben sie auf den Schlampensitz. Bei mir hatten gerade die Sommerferien angefangen, und wenn ich darauf wartete, dass meine weiße Kleine ans Telefon ging, beobachtete ich die beiden durch das Küchenfenster und

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