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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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amüsiert sie sich und schlägt einmal ordentlich über die Stränge, was wir hoffen wollen, dann wird sie sich morgen im Laufe des Tages wieder einfinden, oder...«
    Der Untersuchungsrichter brach mitten im Satz ab und blickte seinen Gast nachdenklich an. Prospero schien es, als überlegte der erfahrene Ermittler, wie offen er mit ihm reden könnte. Er ließ ihm Zeit. Der alte Mann atmete tief ein und wieder aus.
    »Gut, da Sie von Alessandro kommen. Aber schwören Sie, was immer auch geschieht, über das, was Sie gleich erfahren werden, zu schweigen. Wenn das öffentlich wird, droht der Ewigen Stadt die schönste Hysterie.«
    »Ja, ich schwöre, aber nun reden Sie schon!«
    »Seit etwa einem halben Jahr verschwinden Woche für Woche Mädchen in der Stadt. Elf sind es inzwischen, von denen wir definitiv wissen. Anfangs hielten wir die vermissten Mädchen für Einzelfälle, bevor schließlich die steigende Zahl der Vermissungen ein Muster offenlegte. Es handelt sich ausschließlich um schöne Mädchen im Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren, die für sittsam gehalten wurden. Von denen man also annahm, dass sie noch Jungfrauen waren. Huren, Dirnen und Flittchen kamen nicht in die Auswahl. Auch keine älteren Mädchen oder Frauen.«
    Prospero sah den Untersuchungsrichter fassungslos an. »Ein Anschlag auf die Unschuld?«

    »Als Theologe würde ich es so nennen.«
    »Und als Untersuchungsrichter?«
    »Dass eine Bestie am Werk ist, die schlau und methodisch vorgeht, wieder und immer wieder.«
    »Und die nicht aufhören wird...«
    »... bis man ihr das blutige Handwerk legt. Ganz recht.«
    »Es geschehen also Verbrechen in der Stadt, und die Bevölkerung wird nicht einmal gewarnt?«, fragte Prospero schockiert.
    Spigola stand schwerfällig auf und ging zum Fenster. Er schaute eine Weile hinaus, als könnte er auf der Straße finden, wonach er suchte, ehe er antwortete. »Nein, der Kardinal Ganieri, der Generalvikar von Rom, hat im Auftrag des Papstes ein vollständiges Schweigen über diese Fälle angeordnet, um die Menschen nicht zu beunruhigen.«
    Prospero explodierte förmlich vor Zorn. »Der...«, doch dann unterdrückte er noch rechtzeitig das Schimpfwort, das ihm auf der Zunge lag, und machte stattdessen eine wegwerfende Handbewegung. »Ach!«
    »Ja«, setzte Spigola fort, »unter Carasoli wäre das nicht passiert. Aber Kardinal Ganieri frönt der Maxime: Verbrechen, über die man nicht spricht, sind auch nicht geschehen. Für einen Kirchenmann eigentlich verwunderlich, der reine Agnostizismus: Was ich nicht sehe, existiert nicht. Indem er verbietet, über Verbrechen zu reden, hat er Rom zur sichersten Stadt der Welt gemacht.«
    Der Auditor lachte bitter auf, bevor er weitersprach. »In Wahrheit nützt diese Art, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, nur den Missetätern, denn die Anzahl der Verbrechen steigt natürlich. Und da die Angst vor Strafe sie nicht länger hindern muss, werden sie von Tag zu Tag dreister. Glauben Sie mir, am liebsten würde ich den Vätern
und Müttern zurufen: Sperrt eure Töchter zu Hause ein, der Teufel macht Jagd auf sie. Aber mir ist der Mund verboten.«
    »Der Teufel?«, hakte Prospero nach.
    »Ja, denn wissen Sie, was das Merkwürdigste ist?« Spigola hatte seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt, als würden sie belauscht. Prospero erhob sich unwillkürlich und trat zu ihm ans Fenster.
    »Wir haben von keinem der elf vermissten Mädchen bisher eine Spur oder die Leiche gefunden. Als hätte sie die Erde verschlungen. Das ist in meiner ganzen Dienstzeit noch nicht vorgekommen. Deshalb sage ich, der Teufel hat sie geholt, denn der frisst seine Beute mit Haut und Haar und gibt sie nicht mehr her.« In den Augen des Alten erkannte Prospero Angst.
    »Und Albani deckt den Teufel, indem er durch Ganieri verbieten lässt, darüber zu reden...«
    »... und vor allem Untersuchungen durchzuführen, die natürlich auf die Verbrechen hinweisen würden. Denn wissen Sie, sobald Sie Ermittlungen anstellen, sickern Ziel und Grund unweigerlich durch. Sie können keinen Stein ins Wasser werfen, ohne dass Wellen entstehen. Deshalb verbietet man uns, unserer Pflicht nachzukommen. Wir tun einfach so, als wäre nichts passiert.«
    Dass Menschen in Rom verschwanden oder getötet wurden, davon kündete nicht nur der Tiber, der häufig die Leichen der Opfer anspülte. Es war nicht anders als in London und in Paris auch. Die Aufklärung von Verbrechen fand eher nach dem Zufallsprinzip und

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