Und stehe auf von den Toten - Roman
wird uns jede Gegenwehr verboten, und wir haben mit den Händen in den Taschen zuzusehen, wie es seine Herrschaft ausdehnt, weil es Gottes Stellvertreter gefällt. Gefällt es dann auch Gott?«
»Es liegt einzig und allein an Ihnen. Angesichts des Bösen trägt jeder die Verantwortung für sein Handeln. Beim Jüngsten Gericht können Sie sich weder auf den Papst, noch auf Kardinal Ganieri herausreden. Christus wird Sie persönlich fragen, wie Sie gehandelt haben. Denn er sagt: Ich bin der gute Hirte. Und das sind wir in seiner Nachfolge als Priester auch: gute Hirten. Sie wissen, es ist die Aufgabe der guten Hirten, die Herde, die ihm vom Allerhöchsten
anvertraut worden ist, vor den reißenden Wölfen zu schützen. Ihre Entscheidung, Monsignore Spigola.«
»Was, wenn es uns verschlingt?«
»Dann frisst es nur unseren Leib, aber unsere Seele bleibt bei Ihm.«
Man sah dem alten Mann an, dass er sich fürchtete. Er klappte die Bibel zu und dachte nach. Doch alle seine Gedanken schienen, seinem leeren Gesichtsausruck nach zu urteilen, in lähmender Ratlosigkeit zu enden. Es war, als hätte er seinen Besucher inzwischen völlig vergessen. Prospero geduldete sich noch ein Weilchen, dann wollte er schon resigniert aufbrechen, als der Untersuchungsrichter, ohne ihn dabei anzuschauen, sagte: »Ich will Ihnen helfen, auch wenn ich mein Leben dabei aufs Spiel setze. Ich bin abgerichtet, Verbrecher zu jagen, das ist meine Bestimmung. Das habe ich mein ganzes Leben lang getan. Ich kann nicht einfach tatenlos zusehen. Kommen Sie morgen Abend wieder. Dann habe ich mit allen Präfekten der Rioni gesprochen. Viel wissen wir alle nicht, aber das wenige, wovon wir Kenntnis haben, will ich für Sie zusammentragen. Die Präfekten haben zwar ebenfalls Befehl erhalten zu schweigen, aber Sie kennen mich aus langen Dienstjahren. Kommen Sie morgen Abend wieder, junger Mann. Und bis dahin zu niemandem ein Wort. Ich beschwöre Sie. Heilige Jungfrau Maria! Wir wagen uns in das Reich des Satans!«
8.
I hr war kalt. Sie zitterte. Cäcilia rieb sich Arme und Beine, um die Gänsehaut zu glätten. Nur noch das dünne, weiße Seidenhemd verhüllte ihren Körper. Scham erfüllte sie wegen des unschicklichen Aufzuges. Und Furcht. Was wollte man von ihr? Gewalt hätte man ihr längst antun können, aber darin schien nicht die Absicht ihrer Entführer zu bestehen.
Stattdessen hielt man sie in diesem finsteren und nassen Verließ in einem Käfig gefangen. Sie argwöhnte, dass das Rascheln und die patschenden Geräusche, die sie vernahm, von Ratten herrührten. Niemand zeigte sich, keiner sprach mit ihr.
In der Ungewissheit bestand die eigentliche Qual. Nicht zu wissen, was ihr bevorstand und wem sie in die Hände gefallen war. Ihre Seele taumelte. Rüttelte sie gerade noch panische Angst, gelang es ihr kurz darauf, einen kühlen, fast distanzierten Blick auf ihre Situation zu werfen, der schließlich wieder Grauen hervorrief. Die Furcht aber machte wie durch ein Wunder erneut der rationalen Betrachtung Platz. So befand sich Cäcilia in einem wilden Reigen gegensätzlicher Gemütszustände.
Plötzlich regte sich in ihr eine fast absurde Hoffnung, nämlich dass der junge Edelmann sie retten würde. Sie wehrte sich gegen die Vorstellung, dass David von Fünen mit ihren Entführern unter einer Decke steckte. Es mochte kindisch und höchst unwahrscheinlich sein, aber sie klammerte sich an den Gedanken, dass der Cavaliere sie längst vermisste und suchte. Seltsamerweise dachte sie nicht an ihren Bruder, sondern stellte sich vor, wie der Cavaliere
sie mit blank gezogenem Rapier aus dem Kerker befreien würde. Wie in den romantischen Romanen, die sie so gerne las, so würde es sein. Der kühne Held triumphiert über die Schurken und rettet seine Geliebte in letzter Sekunde aus deren blutigen Klauen.
Der Zeitpunkt ihrer Rettung würde kommen. Ganz sicher. Es konnte doch nicht plötzlich alles vorbei sein. Das durfte Gott ihren Eltern und ihren Geschwistern und auch ihr selbst nicht antun.
So sehr sie der drohende Tod erschreckte, so entzog er sich doch letztlich ihrer Vorstellungskraft. Das alles konnte ihr selbst doch eigentlich gar nicht widerfahren. Sicher hatte sie gefehlt, aber doch keine Todsünde begangen. Sie weigerte sich zu glauben, dass Gott so grausam sein könnte.
9.
P rospero Kopf glich einem Bienenstock, in dem die Gedanken nur so umherschwirrten. Aufgewühlt und ratlos kehrte er ins La Grassa zurück. Doch auch dort ergab sich keine
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