Und stehe auf von den Toten - Roman
Gelegenheit, in Ruhe seine Gedanken zu ordnen, denn im Flur erwartete ihn bereits die nächste Überraschung. Graf Sylvio Valenti Gonzaga trat ihm in einem Aufzug entgegen, als wäre er kein Priester mehr, sondern ein verwegener Cavaliere, den ein Abenteuer lockte. Er trug statt des geistlichen Gewandes ein weißes Hemd unter einem braunen Lederwams, eine dunkle Hose, die in lackschwarze Lederstiefel mündete, und einen verwegenen Federhut auf seinem ungeordneten schwarzen Haar.
Die beiden jungen Männer hatten sich schon als Halbwüchsige in der römischen Schule der Somasker angefreundet: Prospero, Halbwaise aus niederem Adel, und Valenti, der Spross einer der ersten Familien Italiens. Es war erstaunlich, aber vom ersten Tag an verband sie die beste Freundschaft, die mit den Jahren nur tiefer wurde und mit jedem gemeinsamen Abenteuer, das sie bestanden hatten, reifte. Sie hatten sogar gemeinsam die Priesterweihe empfangen und das Gelübde abgelegt.
Und nun stand aus einem Grund, den Prospero noch nicht kannte, der Freund vor ihm, als sei das alles nicht geschehen.
»Wie siehst du denn aus?«, fuhr er ihn deshalb empört an.
»Wie jemand, der eine Ehrenschuld zu begleichen hat und die Sekundanten dieses Lumpen erwartet«, antwortete Valenti knapp.
Prospero fiel der Unterkiefer hinunter. War die Welt denn komplett aus den Fugen geraten? Vellonis Schwester verschwand, ein Teufel jagte unschuldige Mädchen, den Behörden wurde verboten zu ermitteln, er selbst sollte in einem Heiligsprechungsprozess ein Gefälligkeitsgutachten für den Papst erarbeiten und andernfalls in die Provinz versetzt werden. Und als ob all dies an Ungemach noch nicht genügte, plagten seinen Freund adlige Allüren. Ehrenschuld! Wenn er das Wort schon hörte, ergriff Prospero die schiere Wut. Der Begriff war scheinbar nur dafür geschaffen worden, der simplen Rauflust unbeschäftigter, reicher junger Männer ein glänzendes Gewand von Ruhm und Tapferkeit umzuhängen.
Und Deborah würde heiraten.
Er packte Valenti bei den Schultern und schüttelte ihn heftig durch. »Du bist ein Priester, ein demütiger Diener Gottes und kein gelangweilter Schnösel. Wir haben keine Zeit für diesen Unfug. Velloni braucht uns!«, brüllte er ihn an. Sein Ausbruch war auch gegen sich selbst gerichtet. Auch er durfte seine Kräfte nicht vergeuden, indem er sich in nutzlosen Spekulationen über die schöne Jüdin erging. Kopfschüttelnd nahm er seine Hände von den Schultern des Grafen und atmete hörbar aus. Es war ihm einfach alles zu viel. Wie gern hätte er jetzt Augen und Ohren verschlossen und sich in den letzten Winkel dieser Welt zurückgezogen, seinetwegen auch in die Chiesa San Rocco. In diesem Moment kam Benjamin die Treppe herunter und berichtete, dass er dem Philologen ein Beruhigungsmittel verabreicht habe. Sie hatten ihn in ein Bett gelegt, das einem der Söhne Gioacchinos gehörte.
»Er schläft jetzt endlich. Sein überreizter Geist muss erstmal zur Ruhe kommen«, erklärte der Arzt und musterte
Valenti verwundert. Prospero winkte nur ab. Dann ging er mit den beiden in die Gaststube.
Gioacchino servierte Tortellini und einen leichten Rotwein, dann setzte er sich zu ihnen. Für sich hatte er einen kleinen Teller als Zwischenmahlzeit mitgebracht. Der Hilfsauditor schwor die drei Männer darauf ein zu schweigen, bevor er von Spigola und den verschwundenen Mädchen erzählte. Mitten in der Darstellung der Ereignisse hielt er plötzlich inne.
»Wo ist Caterina, Vater?!«
Dass er nicht schon früher an sie gedacht hatte! Es verband ihn so viel mit Gioacchinos Familie, und daher fühlte er sich für ihr Wohlergehen mitverantwortlich. Bis zum frühen Tod von Marcello Lambertini, Prosperos Vater, hatte Gioacchino der Familie als Koch gedient. Er kannte Prospero von Geburt an. Oft steckte er ihm Leckerbissen zu, und wenn der kleine Junge in die Küche kam, kümmerte er sich liebevoll um ihn. Lucrezia Lambertini heiratete nach der üblichen Zeit der Trauer den Grafen Bentivoglio. Den Koch entließ sie, und Prospero gab sie ins Internat zu den Somaskern, erst in Bologna, später in Rom. Dass sie den Knaben in seiner Trauer um den Vater allein gelassen und zu fremden Leuten gegeben hatte, hatte er ihr niemals verziehen, und so waren Prospero Lambertinis Gefühle seiner Familie gegenüber seitdem äußerst kühl. Bei Gioacchino hatte er eine Art Familienersatz gefunden. Am Tag, als Alessandro Caprara Prospero in seinen Dienst nahm, führte er ihn in
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