Und stehe auf von den Toten - Roman
der Gesellschaft gegen ein gutes Entgelt an.
Auf einmal hörte sie eine vertraute Stimme. »Cäcilia, Liebes.« Ihre Mutter. Wahrscheinlich traf gerade der ehrenwerte Guido Galani ein, der zwar erst Mitte dreißig, aber bereits Mitglied der Signoria, des Stadtrates von Orvieto war. Sein beruflicher Erfolg stand im krassen Gegensatz zu seinem Äußeren. Denn er wirkte wie ein zu groß gewordenes Wickelkind. Aber sie begrüßte ihn gern, denn sie mochte
seine zuweilen linkische Art. Es bereitete ihr eine diebische Freude, dass der erfolgreiche und selbstsichere Mann nur im Zusammentreffen mit ihr in Verlegenheit geriet. So naiv war sie denn doch nicht, dass sie nicht wusste, was das zu bedeuten hatte. Der gute Stadtrat war bis über beide Ohren in sie verliebt und begehrte sie zum Weibe. Sie mochte ihn, aber sie liebte ihn nicht. Auf seinem kurzen Hals saß unverrückbar ein Kalbskopf, gutmütig, aber nicht erotisch. Man konnte Galani weder dick noch schlank nennen, er war irgendwas dazwischen. Er kam nicht deshalb voran, weil er entschlossen zugriff, sondern weil er warten konnte, weil er immer noch da war, zuverlässig, ehrsam, wenn die anderen längst gescheitert waren und sich im Konkurrenzkampf gegenseitig ausgelöscht hatten.
Das machte Cäcilia manchmal Angst, denn auch ihr gegenüber gab er denjenigen, der warten konnte. Er verlangte nichts, er forderte nichts, er stellte sie nicht auf die Probe oder drängte sie. Er besaß die Zurückhaltung des Fallenstellers, der irgendwann zum Zuge kommen würde. Wenn irgendwann alle, die um ihre Hand buhlten, abgelehnt worden wären, würde er immer noch da sein mit seinem Eheversprechen wie ein geöffneter Vogelbauer, in den sie unweigerlich hineinflattern musste. Auch wenn sie dieser Gedanke deprimierte, imponierte Cäcilia seine Gewissheit, seine Geduld. Er hatte wirklich an alles gedacht, nur nicht daran, dass sie mitten im römischen Karneval entführt werden würde. Mit Rom hatte er nicht rechnen können.
Die Finsternis der Ewigen Stadt tropfte jetzt in dicken Klecksen schwarzer Farbe auf das Bild der bunten Wiese und breitete sich aus wie vergossene Tinte auf einem Blatt Papier. Dann verschlang sie die Dunkelheit. Bis sie in ihrem
Käfig wieder aufwachte. Was bedeutete der Schmerz am Hals? Warum das warme Bad und der Stich?
Irgendetwas geschah mit ihr, das sich ihr nicht erschloss. Keine Vergewaltigung, keine Folter. Was ihr zustieß, fand völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft statt. Cäcilia verlor jeden Halt. Alles um sie herum schien sich zu bewegen, als ob sie in einem Karussell säße. Sie musste das Karussell anhalten, bevor es immer schneller rotierte. Mit aller Kraft der Erinnerung stemmte sie sich dagegen. Im Geist ging sie alle Bücher durch, die sie jemals gelesen hatte, versuchte sich jede Geschichte, die ihr jemals erzählt worden war, ins Gedächtnis zu rufen. Irgendwann in ihrem Leben musste sie doch schon einmal von etwas Ähnlichem gehört haben. Irgendwo auf dieser Welt hatte sich so etwas doch mit Sicherheit bereits zugetragen, und wenn es so war, dann bestand doch die Chance, dass sie Kenntnis davon besaß und sich tief in ihrem Gedächtnis die Lösung dieses lebensgefährlichen Rätsels befand. Vielleicht verborgen unter irgendeiner anderen Geschichte. Sie musste sie nur aufstöbern.
Und dann hatte Cäcilia eine Erkenntnis, für die ihr Bruder sicher stolz auf sie gewesen wäre. Sie schwor sich, ihm davon zu berichten, sobald sie sich erst aus diesem Kerker befreit hätte.
36.
P rosperos sah dem Hauptmann unbeirrbar in die Augen, und der winkte den walrossartigen Polizisten herbei. Der Sbirre wollte Prospero schon am Arm packen, da stach er mit dem Dolch zu. Er traf die Hand des Schergen, der vor Schmerz aufjaulte. Pepe stellte sich mit gezogenem Rapier neben Prospero.
»Sie haben es so gewollt!«, drohte der Hauptmann. Er zog blank.
»Steck das wieder weg, Bürschchen!«, drang eine tragende Stimme aus dem Dunklen. Prospero erkannte sie. Es war die Stimme des Tischlers. Entschlossene Männer, manche mit einem Messer, andere mit einem Rapier und wieder andere mit einem groben Knüppel bewaffnet, traten aus der Dunkelheit. Es waren die Väter der Mädchen, die das Gerücht, dass ihre Töchter gefunden worden waren, zur Posterule getrieben hatte. Es existierte keine Stadt auf der Welt, in der ein Gerücht sich schneller verbreitete als in Rom, denn hier waren die Häuser und Straßen aus viererlei Material gebaut: aus Steinen,
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