Und stehe auf von den Toten - Roman
von ihnen hatte schon nahezu alles gesehen, was man im Fluss finden konnte, zerstückelte Leichen, ersäufte Embryos, erschlagene Kleinkinder, Selbstmörder und alles in allem jede Menge Wasserleichen, doch dieser Anblick griff an ihre Herzen. Die Männer blickten steinern, und um ihre Münder hatte sich ein harter Zug gelegt. Die beileibe nicht maulfaulen Gesellen, deren große Klappen nur von den Schandmäulern ihrer Weiber übertroffen wurden, schwiegen düster vor sich hin. Sie konnten niemandem, auch nicht einander, in die Augen sehen, als schämten sie sich dafür, was mit den Mädchen vor ihnen geschehen war. Auch Pepes Gesicht hatte sich, was eigentlich unmöglich war, noch verdüstert.
Jetzt lagen sie alle nebeneinander aufgereiht. Elf Leichen. Bei manchen war der Verwesungsprozess schon sehr weit fortgeschritten. Kein schöner Anblick. Manche Leiber und Gesichter waren aufgedunsen, blau, schwarz, grün, andere kaum mehr zu erkennen, weil die Ratten bereits begonnen hatten, sich über sie herzumachen. Wieder andere waren von einer scheinbar unvergänglichen Schönheit, doch nie mehr würden sich ein stolzes Elternpaar oder ein junger Verehrer daran erfreuen können. Der Tod hatte den Mädchen den Fluss zum Bräutigam gegeben. Neben Prospero Lambertini entstand eine Unruhe, die seine Aufmerksamkeit ablenkte. Er entdeckte eine asketische Figur, die von Leiche zu Leiche hetzte. Es war Velloni. Sein Gesicht hellte sich auf.
»Sie ist nicht dabei, Prospero. Sie ist nicht dabei«, rief er
erleichtert aus, lief aber sogleich rot an, als ihm bewusst wurde, was er da tat.
»Entschuldige, entschuldigt bitte«, fügte er kleinlaut hinzu.
Giovanni kam nun vom Fluss hoch. Er war vollkommen durchnässt. »Das sind alle Leichen. Wir haben auch einen Holzzaun gefunden. Einen von denen, womit die Eingänge der Kloaken gesichert werden. Das Hochwasser hat ihn scheinbar weggerissen.«
Prospero zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Heißt das, der Mörder wollte vielleicht gar nicht, dass wir sie finden?«, fragte er.
»Sieht für mich so aus«, gab Giovanni zurück. »So als hätte er sie in einen Abwasserkanal geworfen, damit sie dort vermodern. Womit der Teufel eben nicht gerechnet hat, war das Hochwasser, das den Schutzzaun wegspülte...«
»... und die Leichen auf den Fluss hinaustrieb«, vervollständigte Prospero. Alles in ihm empörte sich gegen den Teufel, der die Leichen der Mädchen wie Abfall in die Kanalisation geworfen hatte. Er wusste nach wie vor nicht, ob ihm Vampire gegenüberstanden oder menschliche Bestien, aber er wusste, dass der Feind keine Skrupel kannte und kein Mitgefühl. Er hatte es mit dem schlimmsten Verbrecher zu tun, dem er bis jetzt begegnet war.
»Kannst du die Kloake finden, in der die Leichen lagen?«, fragte er Giovanni.
»Ich will es morgen bei Tagesanbruch versuchen.«
»Nimm dir ein paar kräftige Begleiter mit!«
Kaum war der Fischer gegangen, merkte Prospero, wie jemand anderes neben ihn trat. Es war Benjamin, den Gioacchinos Sohn Claudio in Prosperos Auftrag herbeigerufen hatte.
»Wir müssen sie untersuchen«, sagte Prospero.
»Ich weiß. Fermi wird auch da sein und helfen«, antwortete der Arzt. Seiner Stimme war anzuhören, wie sehr es selbst ihm als erfahrenem Pathologen vor dieser Arbeit graute. Sie sahen sich kurz in die Augen, dann fingen sie an, die toten Körper vorsichtig auf den Wagen zu laden. Velloni half ihnen tapfer, während die Fischer und ihre Frauen betreten dabeistanden.
Sicher hätten sie diese Arbeit auch die Fischer erledigen lassen können, doch sie wussten, dass es ihre Aufgabe war. Sie hatten die Mädchen jetzt in ihre Obhut zu übernehmen. Davor durften sie sich nicht drücken.
Sie benutzten eine derbe Sackplane, damit ihnen die vom Wasser aufgeweichten Leichen nicht auseinanderbrachen.
Es überraschte Prospero, wie schwer so ein schlankes Mädchen als Wasserleiche sein konnte. Der süßlich-faulige Gestank der Verwesung verschlug ihm den Atem. Er würde den Geruch des Todes die nächsten Tage nicht mehr loswerden.
Nachdem sie alle elf Mädchen auf dem Wagen hatten, blickte der Hilfsauditor fragend zum Arzt. »Zur Universität!«, befahl dieser dem Fuhrmann.
Prospero wandte sich noch einmal an die Fischer. »Ich danke euch, gute Leute. Wir werden unser Bestes tun, diese schrecklichen Verbrechen aufzuklären. Kommt morgen Nachmittag zum Palazzo della Cancelleria, und ihr sollt alle eine Belohnung für eure Hilfe erhalten.«
»Wir
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