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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Mörtel, Ohren und Mündern.
    Als die Väter merkten, dass sie zu spät gekommen waren, hatten sie die Richtung eingeschlagen, aus der sie noch die Geräusche des davonfahrenden Karrens auf dem Kopfsteinpflaster hören konnten.
    »Wagt es nicht, mich an der Ausübung meiner Pflicht zu hindern! Oder es wird euch schlecht ergehen!«, schnauzte der Hauptmann die Männer an.
    »Willst du uns etwa töten? Spar dir die Mühe. Wir sind schon tot.«

    »Wo warst du Held denn, als man unsere Mädchen raubte?«
    »Wo warst du, als sie ermordet wurden?«
    »Wo?«
    »Du Maulheld!« Die Männer riefen zornig durcheinander.
    Der Hauptmann lief rot an. Er wollte mit seinem Degen nach dem Tischler stechen, da landete eine eisenharte Faust auf seiner Nase. Ein knirschendes Geräusch verriet, dass sie unter dem Druck des Hiebes gebrochen war. Blut schoss heraus. Vor Schmerz ließ der Hauptmann das Rapier fallen. Er hielt sich das Gesicht und jammerte in den höchsten Tönen. Zwei Sbirren führten ihn fort, ein dritter hob das Rapier seines Kommandeurs auf und trug es ihm, rückwärts vor den Vätern der Mädchen zurückweichend, hinterher.
    »Wenn noch jemand die Bekanntschaft mit der Faust von Claudio, dem Landsknecht, machen will, dann soll er sich melden!« Claudio blickte wild wie ein gefährliches Tier in die Runde. Die Sbirren zogen ab.
    »Wir sind gekommen, unsere Töchter zu holen!«, sagte Marcello.
    »Das geht leider nicht. Wir müssen sie mitnehmen«, erklärte Prospero sanft.
    »Vorsicht!«, grummelte es aus der Gruppe.
    »Ihr wollt doch auch, dass wir den Teufel fassen und verhindern, dass er weiter sein Unwesen treibt. Sollen etwa noch mehr Mädchen sterben?«
    Die Männer schwiegen. Prospero konnte sich lebhaft vorstellen, was in ihnen vorgehen musste. Da lagen ihre Töchter wie Tierkadaver auf dem groben Ochsenkarren. Und anstatt dass sie wenigstens jetzt ihre Kinder zurückbekamen,
wollte dieser Priester, den sie nicht kannten, sie ihnen wegnehmen.
    »Was willst du mit unseren Töchtern?«
    »Ihr seid Männer. Was ihr jetzt hören werdet, wird euch nicht gefallen, und es wird euch schmerzen, aber ich kann es euch nicht ersparen.«
    »Raus mit der Sprache!«
    »Red nicht um den heißen Brei herum!«
    »Also gut. Wir fahren jetzt in die Pathologie. Wir werden uns die Mädchen genau anschauen, einige vielleicht obduzieren. Wir müssen sie befragen, sie müssen uns sagen, was ihnen widerfahren ist. Und sie werden uns in der Sprache der Toten antworten.«
    Unruhe packte die Väter. »Das ist Leichenschändung«, rief einer. Andere pflichteten ihm bei. Doch Marcello hielt unerwartet gegen: »Der Dottore hat Recht. Ich will, dass das Schwein dafür bezahlt! Und wenn meine Tochter im Tod noch verhindern kann, dass es einem anderen Mädchen ähnlich ergeht, dann bin ich auf mein kleines Mädchen stolz.«
    Prospero bewunderte den Tischler in diesem Moment. Die Männer schwiegen und dachten nach. Dann gingen sie zum Ende des Karrens, um Abschied von ihren Kindern zu nehmen. Wie gern hätte er ihnen diesen Anblick erspart. Sie, die diese Mädchen nur in voller Blüte kannten, sahen nun das groteske Spiel der Natur, ein Stück Biologie, aufgelöst in chemischen Prozessen. Wie gerne hätte er ihnen Trost gespendet, wie es einem Priester zukam.
    Er blickte in ihre Gesichter: der eine äußerlich unbewegt und mit leerem Blick, doch innerlich ganz sicher von Qual zerfressen; der andere zusammengebrochen, auf dem Boden strampelnd wie ein Säugling. Der Dritte streichelte
voller Zärtlichkeit über das faulende Fleisch des Geschöpfes, das einmal sein ganzer Stolz gewesen war. Der Vierte stand da, ohne eine Miene zu verziehen, zur Salzsäule erstarrt. Der Fünfte brüllte und brüllte und schwor Rache. Der Sechste verfluchte Gott. Und einer rammte sich still, ohne ein Wort, seinen Stahl ins Herz. Im Moment des Todes wurden seine Augen plötzlich heiter, so als schaute er bereits ins Paradies und entdeckte auf einer Wiese seine spielende Tochter.
    Nein, Prospero Lambertini konnte diese Männer, die alle älter waren als er und mehr erlebt hatten, die wie der Landsknecht etliche Male durch Tod und Gefahr gegangen waren, nicht trösten. Womit sollte er ihnen denn kommen. Mit Hiob? Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen? Mit dem seligen Widertreffen in der Ewigkeit, ihnen, die auf Erden unverschuldet die Hölle erlebten? Er konnte nichts rückgängig machen, vermochte nichts zu ändern. Aber eines stand in seiner Macht, und wenn

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