Und stehe auf von den Toten - Roman
aber Vampire, fügte Prospero in Gedanken hinzu. Er rekapitulierte, was er wusste. Das Motiv der Entführungen lag zweifelsfrei vor ihm. Der Verbrecher benötigte das Blut der Jungfrauen. Und da er es scheinbar regelmäßig brauchte, war der Tod der Opfer ein Nebeneffekt, dem er nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Andererseits
wollte er offenbar nicht, dass seine perverse Leidenschaft bekannt wurde. Die Geheimhaltung war für ihn so wichtig, dass er nicht einmal vor einem Mordanschlag zurückgeschreckt war, um Prospero daran zu hindern, die Leichen zu bergen und ihre Untersuchung in die Wege zu leiten.
Dank des Hochwassers hatten sie endlich einen Zipfel des Geheimnisses in die Hand bekommen. Der Mörder gierte so sehr nach Jungfrauenblut, dass er vor keinem Verbrechen zurückzuschrecken schien. Was für eine Bestie war hier nur am Werke?, fragte sich Prospero schaudernd. Und wozu benötigte sie das Blut? Warum Jungfrauen? Was war das Besondere an ihrem Blut?
»Signori, bitte, eine letzte Frage!« Die Pathologen wandten sich bereitwillig noch einmal Prospero zu. »Unterscheidet sich das Blut von Jungfrauen von dem anderer Menschen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Oder nur insofern, wie sich das Blut einzelner Menschen ohnehin voneinander unterscheidet: Manche haben dickeres, manche haben dünneres Blut. Aber mir ist nicht bekannt, dass es etwas mit der geschlechtlichen Unbeflecktheit zu tun hat«, antwortete der Professor ein wenig ratlos. Er erklärte bedauernd, dass sie in der Erforschung des Blutes noch ganz am Anfang stünden. Eigentlich wüsste man erst seit knapp einhundertfünfzig Jahren, dass es einen geschlossenen Blutkreislauf gab. »Das haben wir Servetus zu verdanken, aber den mussten die Protestanten in Genf ja unbedingt verbrennen. Idioten«, fluchte Fermi.
»Lieber Kollege, das Blut von Jungfrauen hat doch eine Besonderheit«, warf Benjamin ein, der die ganze Zeit geschwiegen und gegrübelt hatte. Alle Augen richteten sich auf ihn.
»Wenn man vermeiden will, dass das Blut durch eine Geschlechtskrankheit, durch eine sogenannte venerische Krankheit, verseucht ist, dann ist man bei Jungfrauen sicher, bei Jünglingen schon nicht mehr«, fuhr der Jude fort. Prospero hätte ihn umarmen können. Das war zumindest eine Erklärung.
»Wer also braucht Blut?«
»Vampire«, warf Velloni ein.
»Kommen Sie, Herr Kollege«, sagte Fermi zu Benjamin, »das ist nicht mehr unser Fachgebiet.«
»Wenn deine Theorie stimmen würde, müssten die Mädchen frisch aussehen und bereits selbst zu Untoten, zu Vampiren geworden sein«, hielt der Hilfsauditor dagegen.
Velloni ließ sich nicht beirren. »Spiel dich nicht als Experte auf. Vor zwei Tagen wusstest du noch nicht einmal, dass es diese Untoten gibt. Was habe ich dir gesagt: Klebe nicht an den äußeren Erscheinungen. Wir wissen nicht, wer uns gegenübersteht: ein Ghul, eine Lamie, ein Vampir oder ein Wesen, von dem wir bisher noch nichts gehört haben. Kennen wir denn die Arten und die alten Geschlechter der Blutsauger? Nein. Oder genauer: kaum.«
»Bisher wissen wir nur, dass jemand in Rom scharf auf Jungfrauenblut ist! Nicht mehr und nicht weniger!«, bekräftigte Prospero seinen Einwand. Von Berufs wegen war er erst bereit, an Wunder oder übernatürliche Erscheinungen zu glauben, wenn alle naturwissenschaftlichen Erklärungen ausgeschöpft waren.
»Aber wer bitte benötigt Blut, wenn nicht ein Blutsäufer, ein Vampir? Wer, Prospero?!«
Darauf hatte Prospero Lambertini allerdings auch noch keine Antwort.
40.
A m Fuße der Treppe öffnete sich vor ihm ein Gang, der sich in Dunkelheit aufzulösen schien. Er konnte nicht mehr zurück. Seine Verfolger waren ihm so dicht auf den Fersen, dass er schon meinte, ihren Atem im Nacken zu spüren. Sie trieben ihn immer tiefer in die unterirdischen Gänge des Palastes hinein. Valentis Fuß schmerzte immer stärker. Er biss die Zähne zusammen und rannte schneller.
Zu spät erkannte er die Tür vor sich und krachte mit voller Wucht dagegen. Mit einem Aufschrei fiel er auf den Hosenboden, war aber sofort wieder auf den Füßen, riss die Tür auf und spürte im gleichen Moment eine Hand an seinem Kragen. Reflexartig drehte er sich um seine eigene Achse und rammte sein Knie in Poelschaus Unterleib. Der brüllte auf und stolperte zurück. Valenti wandte sich wieder um, öffnete die Tür, die inzwischen zugefallen war, erneut und floh in einen großen Raum.
Ein Blick verriet ihm, dass er jetzt auf der Straßenseite des
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