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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Augenblick dem Schicksal für die Chance dankte, den verhassten Nebenbuhler zu töten. Später würde er sich damit herausreden können, dass er einen Einbrecher vermutet hatte. Wie sollte er denn ahnen, dass der Priester Graf Gonzaga bei Nacht vom Fluss her ins Haus eindringen würde? Ein bedauerliches Versehen.

    Geistesgegenwärtig schlug Valenti die Tür zu. Dann hastete er die Treppe hinunter. Er hörte, wie die Tür wieder aufgerissen wurde und Poelschau etwas brüllte, das er nicht verstand, wahrscheinlich auf Deutsch. Dann setzten ihm eilige Schritte nach. Valenti trieb sich zu größerer Eile an, aber es war immer noch stockfinster. So trat er auf einmal ins Leere und stürzte. Vom Knöchel aus schoss ihm ein Schmerz das Bein hoch. Er rappelte sich dennoch auf und rannte weiter, wobei jeder Schritt mit dem linken Fuß höllisch wehtat. Verstaucht, Gott sei Dank nicht gebrochen, sonst hätten Flucht und Leben ein jähes Ende gefunden. Es wunderte ihn, dass die Treppe kein Ende nehmen wollte. Da wurde ihm schlagartig bewusst, dass er zu weit gelaufen war. Was für ein dummer Fehler! Er hatte die Stufen, die zum Kai führten, längst hinter sich gelassen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass diese Treppe nicht in einer Sackgasse enden würde.

39.
    D ie Morgendämmerung drang zögernd durch die Fenster der Morgue. Als wollte selbst das Licht nicht hier sein. Öllämpchen waren aufgefüllt und Fackeln ersetzt worden. Prospero saß übernächtigt und völlig bleich auf einem Schemel. Er fühlte sich wie durchgeprügelt. Sie hatten Francesca und zwei weitere Mädchen vollständig obduziert. Die Oberkörper lagen geöffnet vor ihnen, Haut und Fleisch des Bauches und der Brust auseinandergeklappt wie das breite Revers eines Uniformrocks, während die Organe in Wannen schwammen. Es sah grotesk aus, grotesk und falsch. Benjamin und Fermi legten die Organe in die Körper zurück, dann nähten sie die Rümpfe wieder zu. Menschenschneider, dachte Prospero. Wie können sie das nur? Bewunderung nicht, aber Achtung empfand er für sie.
    Lacriano arbeitete unauffällig, aber emsig an der Verschönerung der Leichen - sofern man eben noch von Verschönerung sprechen konnte. Manchen Körpern hatte das Wasser so sehr zugesetzt, dass ihm nur übrigblieb, die Leiber fest in mörtelbenetzte Tücher einzuwickeln, um zu verhindern, dass sie auseinanderfielen. Sie wirkten wie übergroße Wickelpuppen. Er arbeitete mit allen Tricks, mit Schminke, mit Knetmasse, mit Farbe, mit Drähten, mit Tüchern und Gips. Bei Prospero entstand der Eindruck, dass der Mann ein Bildhauer war, der mit Fleisch modellierte. Lacriano glaubte an seine Kunst. Nicht Raffael der Verblichenen, sondern Michelangelo der Toten wäre der passende Name für ihn gewesen.
    Die beiden Pathologen glichen nun eher Metzgern als Medizinern. Sie banden sich die blutbesudelten Schürzen
ab, dann wuschen sie sich gründlich die Hände, die Arme und die Gesichter in zwei Trögen. Ein Gehilfe brachte noch einmal frisches Wasser. Jetzt erst waren die beiden Ärzte zufrieden und kamen zu Prospero. Hätte er nicht wie sie die ganze Nacht in der Morgue zugebracht, wäre ihm der Leichengeruch, der von ihnen ausging, aufgestoßen. Velloni hatte ein Konvolut von Blättern mit dem Protokoll gefüllt. Dabei war er so eifrig und gewissenhaft zu Werke gegangen, dass es ihm gelungen war, seine Umgebung völlig zu verdrängen und im Vergleich zu Prospero erstaunlich frisch auszusehen. Cäcilia blieb zwar verschwunden, aber sie befand sich nicht unter den Leichen. Das flößte ihm ganz offensichtlich Hoffnung ein und spornte ihn an. Er setzte einen Punkt, nahm ein neues Blatt und wartete auf das Resümee.
    »Widersprechen Sie mir, Herr Kollege, wenn Sie etwas anders sehen«, begann Fermi an Benjamin gewandt, bevor er sich zu Prospero drehte. »Fest steht, dass die Mädchen an hohem Blutverlust gestorben sind. Wir vermuten, dass dieser Blutverlust nicht auf einmal eintrat, sondern sich über einen längeren Zeitraum hinzog und bewusst herbeigeführt wurde.«
    »Woraus schließen Sie das?«, fragte der Hilfsauditor.
    »Wir haben an der Wunde die Reste einer Substanz festgestellt, die der Gerinnung des Blutes entgegenwirkt.«
    »Ich verstehe Sie nicht, Professor.«
    »Es ist ganz einfach. Wenn unser Blut nicht gerinnen und die Wunde durch das Gerinnsel verschließen würde, müssten wir verbluten. Will ich das Blut aber zum Fließen bringen, muss ich dieser natürlichen Eigenschaft entgegenwirken,

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