Und stehe auf von den Toten - Roman
Fluss hinunter. Aber auch hier war der Tiber über die Ufer getreten. Seine schmutzigen Wellen brandeten an eine halbhohe Mauer.
Der Graf sah an sich hinab. Seine Kleidung war ohnehin schon nass, also begab er sich beherzt ein weiteres Mal ins Wasser und watete zur Mauer. Er verzichtete darauf, die Holztür aufzustoßen, denn das hätte das alte Mauerwerk angesichts der drückenden Wassermassen zum Einsturz bringen können. Stattdessen kletterte er über die Umfassung. Der Boden stieg an, so dass er mit wenigen Schritten das Trockene erreichte. Dann stand der Graf vor einem Häuschen, das sich wie eine Hundehütte an eine alte Kirche lehnte. Er klopfte an die Tür. Eine alte Frau öffnete. Verschrumpelt, undeutbaren Alters, aber mit immer noch sehr wachen Augen.
»Ah, der Marchese. Was bringen Sie nur für ein Wetter mit?«, krächzte die Alte.
»Ich brauche das Boot, Lydia.«
»Was sonst.« Ihre Stimme klang wie ein Reibeisen. »Wird wohl mein letztes Hochwasser.«
»Seit wie vielen Überschwemmungen behauptest du das schon?«
»Ach du, Hosenscheißer!«
Wenige wussten, dass die Alte Lydia hieß, und noch weniger, dass sie vor einer Ewigkeit einmal Roms berühmteste Kurtisane gewesen war. Nachdem die Zeit endgültig vorbei
war, ihr kleines Feld zu beackern, hatte sie sich aufs Kuppeln verlegt. Es war ein Gonzaga, der aus einer alten Dankesschuld heraus die ergraute Kupplerin vor dem Galgen gerettet und ihr diese mehr als bescheidene Wohnung mit freier Verköstigung in der Kirche San Bartolomeo besorgt hatte. Das Gotteshaus war auf den Ruinen eines alten Heiligtums errichtet worden, das dem Gott der Medizin, Äskulap, gewidmet war. Und so hatte am Ende auf verschlungene Weise alles seine Richtigkeit, denn wie das Wirken des Gottes Äskulap, so stand auch Lydias Tätigkeit einst im Dienste am menschlichen Körper.
Die Alte ging wortlos wieder ins Haus, während Valenti die kleine Barke, die an der Häuserwand lehnte, umdrehte, die beiden Ruder hineinpackte und das Ganze zur Umfriedung zog. Dann schob er ächzend das Boot über den Mauersims auf den Fluss, kletterte hoch und stieg ein. Er paddelte flussaufwärts unter dem unheimlich wirkenden Bogen des Ponte Quattro Capi hindurch. Ihm zur rechten erstreckte sich ein Bild der Trostlosigkeit. Wie sagte man in Rom? Der Tod kommt leise wie das Hochwasser.
Valenti dankte seinem Schöpfer, dass er in der Dunkelheit das Ausmaß der Katastrophe nur erahnen konnte. Es war ein seltsames Gefühl, allein auf dem Fluss zu sein. Ob es stimmte, dass einen in diesen Stunden die Flussgeister holten, gefräßige Wasserfrauen, die ihre Opfer bis auf den Knochen abnagten? Er legte sich kräftig in die Ruder, was ihm guttat, denn es verscheuchte die Kälte. Bald schon hatte er die Rückseite des Gesandtschaftspalastes erreicht. Vorsichtig und leise tauchte er die Ruder ins Wasser, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er steuerte die Barke behutsam zu dem großen vertäuten Boot und band sie an einer der beiden Rudergabeln fest. Fast lautlos glitt
er hinüber und durchsuchte das Boot, so gut es eben im Dunkeln ging. Seine Hände tasteten den Boden ab, überprüften jede Unebenheit. Er fasste in etwas Schleimiges, wahrscheinlich Rotz. Angewidert wusch er sich die Hand im Fluss sauber. Dann untersuchte er weiter den Schiffsboden, mit der gleichen Akribie, auch wenn er sich jetzt dazu zwingen musste. Plötzlich berührte seine rechte Hand etwas Warmes, Metallisches. Unter allen Metallen fühlte sich nur Gold warm an. Vorsichtig griff er nach dem Gegenstand, hob ihn auf und hielt ihn sich dicht vor die Augen. Es war ein goldenes Kreuz an einer gerissenen, dünnen Kette. Valenti steckte es ein, suchte noch eine Weile geduldig weiter, fand aber nichts mehr. Dann erklomm er den Kai, öffnete die Tür an der schmucklosen Rückseite des Palastes und gelangte in einen dunklen Flur. Es roch muffig, und er sah die Hand vor Augen nicht.
Der Graf stieß mit dem Fuß gegen eine Stufe und schlich die vor ihm liegende Wendeltreppe mehr tastend als sehend hinauf. Was, wenn man ihn entdeckte? Dann würde er etwas von dunklen Gestalten stammeln, die er dabei beobachtet hatte, wie sie in den Palast einbrachen. Eine Tür versperrte ihm den Weg. Er öffnete sie vorsichtig und stand plötzlich Poelschau gegenüber. Das Gesicht des Reitund Fechtlehrers drückte erst Erstaunen, dann Genugtuung aus. Valenti wusste, was das bedeute. Sein Ende. Er begriff in Sekundenschnelle, dass Poelschau in diesem
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