Und tot bist du
sagte sie leise, »bitte halte mich jetzt nicht für übergeschnappt, aber ich glaube ich habe eben am Fenster ein Kindergesicht gesehen.«
Richard Dalton warf einen kurzen Blick auf die Frau, mit der er jetzt seit sieben Tagen verheiratet war. Dann bog er vom Merrit Parkway in Connecticut in die Straße ein, die nach Darien führte. »Ich bin dir noch richtige Flitterwochen schuldig, Giselle«, meinte er auf französisch.
Giselle DuBois Dalton schob die Hand unter den Ellenbogen ihres Mannes. Ihr Englisch hatte einen starken französischen Akzent. »Vergiß nicht, Richard, von jetzt an darfst du nur noch Englisch mit mir sprechen. Und mach dir keine Gedanken. Die Flitterwochen können wir nachholen. Du weißt ja, daß ich Jacques nicht länger als ein paar Stunden mit einem fremden Babysitter alleinlassen möchte. Er ist so schüchtern.«
»Das Mädchen spricht ausgezeichnet Französisch, Liebling, und das war dir doch so wichtig. Die Agentur hat es uns wärmstens empfohlen.«
»Trotzdem.« Giselle klang besorgt. »Alles war so überstürzt«.
Das stimmte, dachte Dalton. Giselle und er hatten eigentlich erst im Mai heiraten wollen. Aber sie hatten die Hochzeit vorverlegen müssen, als ihm der Posten des Direktors von All-Flay, eine Limonadenherstellers mit Niederlassungen auf der ganzen Welt, angeboten worden war. Davor war er Geschäftsführer von Collette gewesen. All-Flays wichtigstem französischem Konkurrenten. Giselle und er waren sich einig gewesen, daß er als Vierunddreißigjähriger eine solche Position nicht ablehnen durfte, vor allem nicht, da schon der Vertragsabschluß mit einem beträchtlichen Bonus verbunden war. Also hatten sie vergangene Woche geheiratet und waren einige Tage später in das Haus gezogen, das die Firma für sie in Darien angemietet hatte.
Am Freitag abend war überraschend Lily, die neue Haushälterin, aufgetaucht, obwohl es geheißen hatte, daß sie erst nach Weihnachten würde anfangen können. Deshalb hatte Louis, Giselles Vater, sie am Samstag morgen gedrängt, anstelle von Flitterwochen wenigstens ein Wochenende in New York zu verbringen. Am Montag hatte Richard dort noch ein Geschäftsessen.
»Ich bleibe bis Montag mittag hier bei Jacques. Und die wenigen Stunden, bis ihr nach dem Geschäftsessen wieder zurück seid, kann Lily ja auf ihn aufpassen.
Allerdings hatte das Geschäftsessen länger gedauert als erwartet. Und Richard spürte, daß Giselles Anspannung wuchs, je mehr sie sich dem Haus in Darien näherten.
Er verstand ihre Besorgnis. Sie war mit vierundzwanzig Witwe geworden und hatte in der PR-Abteilung von Collette gearbeitet, um ihren kleinen Sohn zu ernähren. Dort hatten sie sich vor einem Jahr kennengelernt.
Anfangs war es nicht leicht gewesen, Giselle hatte ständig Angst um Jacques und befürchtete, daß ein Stiefvater ihn vielleicht ablehnen könnte.
Eigentlich hatten sie in Paris bleiben wollen. Doch dann hatten sie innerhalb weniger Wochen ihre Hochzeitspläne umwerfen und umziehen müssen. Richard wußte, daß Giselle sich Gedanken darüber machte, ob die vielen Veränderungen – ein neuer Vater und ein neues Zuhause –
Jacques nicht überforderten. Außerdem sprach er noch kaum ein Wort Englisch.
»Home, sweet Home«, meinte Richard vergnügt, während der Wagen die lange Auffahrt hinaufrollte.
Giselle riß die Beifahrertür auf, noch bevor das Auto richtig stand.
»Das Haus ist so dunkel«, sagte sie. »Warum hat Lily kein Licht gemacht?«
Richards scherzhafte Antwort, Lily sei offenbar von der geizigen Sorte, erstarb ihm auf den Lippen. Das Haus wirkte so verlassen, daß sogar er es als bedrohlich empfand. Obwohl die Sonne schon fast untergegangen war, brannte in keinem Zimmer Licht.
An der Vordertür holte er Giselle ein. Sie suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. »Ich habe ihn schon, Liebling«, kam er ihr zuvor.
Auch die Vorhalle lag in Finsternis.
»Jacques!« rief Giselle. »Jacques!«
Richard schaltete das Licht ein. Auf dem Flurtisch lag ein Blatt Papier. Darauf stand: »N’appelez pas la police.
Attendez nos instructions avant de rien faire.«
Rufen Sie nicht die Polizei. Unternehmen Sie nichts, bevor Sie unsere Anweisungen erhalten haben.
»Miss La-Monte, wie fühlen Sie sich?«
Als sie die Augen aufschlug, sah sie, wie sich ein Polizist besorgt über sie beugte. Was war geschehen? Doch dann fiel es ihr wieder ein. Ein Reifen des Wagens war geplatzt, und sie hatte die Kontrolle über das Fahrzeug verloren.
Weitere Kostenlose Bücher