Und tot bist du
Das Auto war von der Straße abgekommen und die Böschung hinuntergerollt. Dabei war sie mit dem Kopf gegen das Lenkrad geprallt.
Der Junge. Jacques. Hatte er sie verraten? Wie sollte sie das alles erklären? Jetzt würde man sie bestimmt ins Gefängnis sperren.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und bemerkte, daß ein Arzt auf der anderen Seite des Bettes stand.
»Immer mit der Ruhe«, meinte er beschwichtigend.
»Sie sind in der Notaufnahme des Morristown General Hospital. Außer einem kräftigen Schlag auf den Kopf ist Ihnen nichts passiert. Wir haben versucht, Ihre Familie zu benachrichtigen, aber wir haben noch niemanden erreicht.«
Ihre Familie? Natürlich! Sie hatten immer noch das Visitienkartenetui bei sich, das Pete zusammen mit dem Führerschein, der Zulassung, dem Versicherungsnachweis und den Kreditkarten der wirklichen Lily La-Monte gestohlen hatte.
Trotz der pochenden Kopfschmerzen log Betty Rouche so geschickt wie eh und je. »Das ist eigentlich ein Glück, denn ich wollte Weihnachten ohnehin mit meiner Familie verbringen und möchte sie nur ungern mit so einem Anruf ängstigen.«
Was sollte sie weiter sagen: Wo wollte sie ihre Familie treffen? Und wo war der Junge?
»Waren Sie allein im Auto?«
Undeutlich erinnerte sich Betty, daß sich die Beifahrertür geöffnet hatte. Sicher war das Kind weggelaufen.
»Ja«, flüsterte sie.
»Ihr Wagen wurde zur nächsten Tankstelle geschleppt, aber ich fürchte, es werden einige Reparaturen auf Sie zukommen«, erklärte der Polizist. »Möglicherweise ist es sogar ein Totalschaden.«
Sie mußte unbedingt verschwinden. Betty sah den Arzt an. »Ich bitte meinen Bruder, sich um das Auto zu kümmern. Darf ich jetzt gehen?«
»Einverstanden. Aber überanstrengen Sie sich nicht und suchen Sie nächste Woche Ihren Hausarzt auf.«
Mit einem aufmundernden Lächeln verließ der Arzt den Raum.
»Zuerst müssen Sie noch den Unfallbericht unterschreiben«, meinte der Polizist. »Werden Sie abgeholt?«
»Ja, danke. Ich rufe meinen Bruder gleich an.«
»Gut, dann viel Glück. Es hätte schlimmer ausgehen können. Ein geplatzter Reifen, und das ohne Airbag …«
Zehn Minuten später saß Betty in einem Taxi und fuhr zur nächsten Autovermietung. Kurz darauf befand sie sich auf dem Weg nach New York. Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Jungen ins Haus ihres Cousins Pete in Somerville zu schaffen. Aber jetzt würde sie auf keinen Fall dorthin fahren.
Nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, hielt sie an einer Tankstelle, um zu telefonieren. Jetzt, wo die Gefahr vorbei war, mußte sie unbedingt ihre Wut darüber loswerden, daß Pete sie zu diesem verrückten Plan überredet hatte.
»Es ist ein Kinderspiel«, hatte er gesagt. »So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben.« Pete war bei der Personalvermittlung »Erste Wahl« in Darien angestellt. Er nannte sich zwar Trainee, aber Betty wußte, daß er hauptsächlich damit beschäftigt war, Botengänge zu erledigen und den Rasen vor den Mietshäusern zu mähen, die von seinem Arbeitgeber verwaltet wurden.
Pete war wie sie zweiunddreißig. Sie waren Tür an Tür aufgewachsen und im Laufe der Jahre einige Male gemeinsam in Schwierigkeiten geraten. Noch heute lachten sie darüber, wie sie in ihrer Highschool alles beschmiert und verwüstet hatten – die Schuld an diesem Streich hatten sie Mitschülern in die Schuhe geschoben.
Aber sie hätte wissen müssen, daß Pete sich mit diesem Vorhaben übernahm. »Hör zu«, hatte er gemeint.
»Ich habe im Büro alles über das Ehepaar mit dem Kind erfahren. Der Typ heißt Richard Dalton. Er hat gerade einen Scheck über sechs Millionen Dollar bei der Bank eingereicht, sein Bonus für einen Vertragsabschluß. Ich habe sogar schon in der Villa gearbeitet, in die sie einziehen wollen. Vor sechs Monaten hat dort ein anderer Manager gewohnt. Und ich kenne Lily La-Monte. Unsere Agentur hat sie schon an andere Stellen vermittelt, und sie ist die einzige, die sich für diesen Job eignet. Sie brauchen nämlich ein Kindermädchen, das fließend Französisch spricht.
Und ich weiß, daß sie über Weihnachten nach New Mexico fahren will. Also springst du für sie ein. Wenn die Eltern weg sind, nimmst du das Kind und bringst es in mein Haus in Somerville. Ich kümmre mich um die Lösegeld
übergabe und so weiter. Es wird ganz simpel. Und dann können wir uns eine Million Dollar teilen.«
»Und wenn sie die Bullen rufen?«
»Das werden sie schön bleibenlassen.
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