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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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sich wieder liebten. Nicht dran denken, sagte er sich, und dann dachte er doch, Sim.
    Das Gefühl, zu ersticken, kehrte zurück, als er die Treppe zur Wohnung hinaufstieg, und es hielt auch noch an, als er die Pistole auf den Küchentisch legte und in den Schränken nach Whisky zu suchen begann. Er zitterte so sehr, dass er eine Minute gebraucht hatte, um den Türschlüssel ins Schloss zu stecken. Er fand eine Flasche Wodka. Er nahm einen Schluck aus der Flasche und noch einen. Das Zittern wurde nicht schwächer. Er zog die Küchenvorhänge zu, um den Sonnenschein auszusperren. Dann nahm er die Pistole wieder vom Tisch und legte sie in die Nachttischschublade. Zurück in der Küche trank er noch einen Schluck, und jetzt ließ das Zittern nach, und er atmete ruhiger.
    Es war vorbei. Er hing nicht mehr in der Luft; er wusste, woran er war. Er musste jetzt den Schlussstrich ziehen. Sie war da gewesen, und sie war sein Leben gewesen, und jetzt war sie nicht mehr da, und sie war nicht mehr sein Leben, aber es ging trotzdem weiter. Es ist ja so, dachte er. In den letzten beiden Jahren wusstest du immer, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis du sie verlierst. Aber es ist nicht dasselbe. Es zu wissen, es sich sogar vorzustellen ist nicht dasselbe, wie wenn es dann wirklich passiert. Von Simone im Inneren Abschied zu nehmen war nicht dasselbe, wie an ihrem Bett zu sitzen und darauf zu hoffen, dass sie noch einmal die Augen öffnete, ihn ansah und ihn erkannte. Es war nicht dasselbe, wie zu wissen, dass ihre Augen nun für immer geschlossen blieben und ihre Hände ihn nie mehr halten würden.
    Er sah sie vor sich und dachte, so wird das nichts mit dem Schlussstrich. Er holte ein Glas aus dem Geschirrschrank über der Spüle und nahm die Eisschale aus dem Tiefkühlfach. Er zog sein Jackett aus und hängte es über die Stuhllehne. Durch die zugezogenen Vorhänge fiel gedämpftes Vormittagslicht, das später den honigfarbenen Ton des Nachmittags annahm. Auf der Straße unter dem Fenster verging der Tag mit dem Lärm von Fahrrädern, Kindern, Autos und den verwehten Bässen der Rockmusik aus dem Café an der Ecke. In der Wohnung aber schien die Zeit stehen zu bleiben. Begleitet vom Kratzen der Taubenfüße auf dem blechernen Fensterbrett, wanderten nur die Schatten durch den Raum. Mehrmals klingelte das Telefon, aber Van Leeuwen nahm den Hörer nicht ab. Dann läutete die Türglocke. Er ließ sie läuten, und nach einiger Zeit verstummte sie.
    Er versuchte, nicht zu viel an Sim zu denken. Immer wenn er in seinem Inneren ihren Namen sagte, zog ihm die Angst das Blut aus dem Herzen; die Brust wurde ihm eng. Als das Telefon etwas später wieder klingelte, stand er endlich auf, ging in die Diele und riss den Hörer hoch: » Was ist denn?!«
    »Julika«, meldete sich Brigadier Tambur mit heller, besorgter Stimme.
    »Was willst du?«, fragte er. Er wusste nicht mehr, wie sie aussah; kaum, dass er ihre Stimme erkannte.
    »Ich wollte fragen, wie es Ihnen geht.«
    »Gut.«
    »Ist was passiert? Ist was mit Ihrer Frau? Wenn Sie ...« »Es geht mir gut.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Es ging mir nie besser.« Er legte auf und zog dasTelefonkabel aus der Steckdose. Dann begab er sich auf die Suche nach einer neuen Flasche mit etwas zu trinken. Er schaltete in allen Räumen das Licht an, und sein Blick fiel auf das Foto von Simone auf dem Nachttisch.
    Er fand noch eine halb volle Flasche Whisky in der Vitrine im Wohnzimmer. Er goss sich ein Glas ein, tat Eis hinzu und trank einen Schluck. Er knipste alle Lampen wieder aus, ging in die Küche zurück, und da tat schon der erste Schluck seine Wirkung. Das Eis war kühl auf seiner Zunge, und als er weitertrank, versuchte er, nicht mehr an sich als verheirateten Mann zu denken, aber das war nicht einfach. Spätabends, als die Straße still lag und auch keine Klaviermusik mehr aus der Wohnung unter ihm drang, hörte er Sims Schritte auf dem Korridor, das Knacken der Dielen unter ihren Füßen, das Rascheln ihres Hausmantels, die leisen Laute, mit denen sie seine Aufmerksamkeit erregen wollte. Er lächelte und sah zur Tür, ohne die Sorge, die ihn früher oft erfüllt hatte. Sie war ja nicht wirklich da.
    Allmählich, während er an dem krümelbedeckten Tisch in der Küche saß und trank, wurde in seinem Kopf und seiner Brust jedes Gefühl taub, und diese Taubheit sagte ihm, dass alles bedeutungslos war und dass man froh sein konnte, wenn man auf dieser Erde niemanden mehr hatte, mit dem man

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