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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Straßenschilder und Bäume flogenals Farbkleckse vorbei, dann das Meer, das blau aufblitzte und wieder verschwand. Die Höfe und die Kühe auf den Weiden schienen zu zittern, auf und nieder zu rucken. Nichts an dem Land draußen war ihm vertraut.
    Er bog von der Autobahn auf die Straße nach De Bleerinck . Es gab jetzt weniger Autos, dafür huschten schemenhafte Radfahrer vorbei. Die Sonne stand tiefer am Himmel. Auf den Wiesen grasten Schafherden. Die Blätter der Apfelbäume flirrten blinkend im Wind, und ihre Schatten lagen auf dem hohen Gras. Van Leeuwen fuhr über eine Brücke, und nach einer Kurve tauchte das Heim am Ende der Straße auf. Er steuerte den Alfa auf den Parkplatz und bremste so heftig, dass der Kies gegen die Hausmauer spritzte. Als er aussteigen wollte, gelang es ihm einen endlosen Moment lang nicht, sich zu bewegen, so schwer war er geworden. Aber dann schaffte er es und stieg aus.
    Die Luger in dem dunkelgelben Umschlag ließ er auf dem Beifahrersitz zurück.
    Er betrat das lichtdurchflutete Foyer, in dem Patienten und Besucher und Klinikpersonal nur Statisten waren. Er ging zwischen ihnen hindurch, ohne ein Gesicht wahrzunehmen. Er bog in den Gang mit den bemalten Wänden, der zur Krankenstation führte. Noch immer war sein Herz in der kalten Schale eingeschlossen, aber sonst spürte er nicht viel.
    Vor der Tür zur Krankenstation begegnete ihm eine Pflegerin. Er kannte sie nicht, und sie erkannte ihn erst auch nicht, aber dann schien sie trotzdem zu wissen, wer er war. Ihr Gesicht veränderte sich, und sie sagte: »Sie können da noch nicht hinein, Mijnheer. Sie müssen hier warten.« Er kümmerte sich nicht um das, was sie sagte, sondern ging einfach weiter.
    Er drückte auf den Knopf, der die Tür entriegelte. Die Tür öffnete sich, und er ging weiter, bis er an das Glasfenster gelangte, hinter dem seine Frau lag. Das Zimmer war abgedunkelt. Ein Arzt stand neben Simones Bett und horchte ihre Brust mit einem Stethoskop ab. Danach regulierte er etwas an einem der Apparate, an die sie angeschlossen war. Sie sah aus, als ob sie schliefe. Die Schläucheführten in die Venen an ihren Armen, und ihr Gesicht war von einer Sauerstoffmaske bedeckt.
    »Sie dürfen hier nicht rein«, sagte der Arzt. Van Leeuwen betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
    »Sind Sie ihr Mann?«, fragte der Arzt.
    Van Leeuwen sagte nichts. Er trat neben das Bett, und als er nach Simones Hand griff, fühlte er, wie kalt sie war.
    »Sie schläft«, sagte der Arzt. »Vielleicht wacht sie noch einmal auf, aber ich glaube es nicht.«
    »Gehen Sie, bitte«, sagte Van Leeuwen. Er achtete nicht mehr auf den Arzt, sondern zog den Hocker aus der Ecke ans Bett und setzte sich. Er war jetzt allein mit Simone. Ihre Augen waren geschlossen, und je länger er sie betrachtete, desto stärker hatte er das Gefühl, dass sie bald wieder aufwachen würde. Er sah ihr unbewegtes Gesicht, das Gesicht von jemandem, der schlief. So hatte sie zu Hause neben ihm im Bett gelegen. Sie würde aufwachen und ihn anschauen und sagen: »Hab keine Angst, bald bin ich wieder bei dir. Mein armer Liebling. Hab keine Angst.«
    Er sah die Frau, die in den letzten Jahren alles vergessen hatte – wer sie war, in welcher Stadt sie lebte und mit wem. Sie hatte ihr ganzes Leben vergessen, aber er hatte es für sie im Gedächtnis behalten: Er sah das Mädchen, das auf dem Fahrrad aus dem Regen aufgetaucht war, als sie beide Kinder gewesen waren. Er sah die Frau, die er geheiratet hatte und mit der er so viele Jahre glücklich gewesen war. Er sah all diese Menschen, und plötzlich wusste er, dass sie doch nicht wieder aufwachen würde und dass es so am besten war.
    Es war am besten, aber es war nicht gut. Man konnte nichts dagegen machen, aber deswegen war es nicht gut. Es war sinnlos und ungerecht, und man konnte nichts dagegen machen.
    Die kalte Schale um sein Herz öffnete sich. Der Druck unter seinen Lidern ließ nach, weil er von Tränen herrührte. Er schnappte nach Luft, als aus Kummer Zorn wurde. Es war am besten so, aber es war nicht gut.
    Nach einer Weile stand er auf und ging aus dem Raum. Er ging, ohne seine Schritte zu spüren. Vor der Tür stand eine Bank, und erbemerkte, dass der Mann, der dort saß, Doktor Ten Damme war. Der Direktor stand auf und trat einen Schritt vor, die Arme halb ausgestreckt. Einen Moment lang fürchtete Van Leeuwen, Ten Damme wollte ihn an sich drücken, in seiner Strickjacke, die er sogar im Hochsommer trug.

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