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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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zurückgeblieben!«
    Shak wandte sich ab. »Ich entziehe dir die Verantwortung«, sagte er leise. »Für mich, für Mira und für Pamit, und ich tue es hier und in diesem Augenblick!«
    Er ließ die Tür offen stehen, als er den Wagen verließ, und bei seinem Weg über den Hof blickte er nicht mehr zurück, als endete hinter ihm die Welt. Radschiv sah noch, wie alle drei – Shak, Pamit und Mirabal – in die Lagerhalle gingen. Nur Pamit drehte sich noch einmal um, doch schließlich folgte er seinem Bruder und Mira und verschwand mit ihnen im Dunkel der Halle.
    Pamit, mein kleiner Pamit, dachte Radschiv, und es war, als drehe sich dieser Name in seinem Herzen wie eine Rasierklinge und füge ihm brennende Schmerzen zu. Nie hatte er irgendjemanden so sehr geliebt, wie er seinen jüngsten Sohn liebte. Nicht Mira, nicht Vharma, auch Shak nicht.
    Er ließ seine Tür offen stehen bis in die Nacht hinein. Er hörte Musik aus der Halle, aber niemand rief ihn und niemand brachte ihm Essen. Nach einiger Zeit verließ er den Wohnwagen und setzte sich auf die kleine Treppe. Die Musik hörte auf. Stille kehrte ein, und noch immer kam niemand. Er hob den Kopf und sah hinauf in die Nacht über Amsterdam, sah hinauf zu den Sternen in dem klaren tiefblauen Himmel, so lange, bis sein Kummer ihm vorgaukelte, dass es keine Sterne waren, die dort oben flimmerten, kein Himmel, der sich über der Welt spannte, sondern wandernde Seelen in einem dunklen Strom zwischen Leben, Tod und Wiedergeburt. Sie drehten sich wie in einem Strudel, glitzernd, funkelnd, schlossen sich zusammen und trieben auseinander, formten Figuren, Muster und Bilder.
    Radschiv sah sich selbst, eine kleine, trübe Seele, und er sah Shak und Pamit, zwei weitere kleine Punkte, die zu erlöschen drohten. Er sah die große, leuchtende Seele seines Vaters, das Funkeln seiner Mutter und das zarte Flackern seiner Frau, Vharma. Die Seelen von Tausenden und Abertausenden anderen sah er, von Männern, Frauen und Kindern, sogar die von Kühen, von Elefanten, Tigern und Schlangen.
    Radschiv sah auch die Straßen, auf denen diese Seelen zu Lebzeiten gewandert waren. Die Kaufhäuser, Bordelle oder Paläste, in denen sie gelebt hatten und gestorben waren und wieder lebten. Er sah Amir. Er sah Shak und Pamit. Er sah Mirabal, aber er sah auchdas irisierende Schillern von Henk Dekkers Seele. Er sah sie alle, verbunden durch die Kometenschweife des Geldes, das lebte und starb und wiedergeboren wurde wie sie, hier in dieser Nacht, unter diesem blauen Himmel.
    Er brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, es seien die Sterne über Delhi, der geliebten Stadt, deren Straßen er nie verlassen hatte. Er war wieder arm. Er sah sein Schicksal, aber niemand fragte ihn danach.

30
    Zuerst merkte er nicht, dass es Wasser war. Es prasselte auf seinen Hinterkopf und lief ihm über die Stirn ins Gesicht. Es rann ihm über den Nacken in den Hemdkragen und in die Ohren. Er schnappte nach Luft. Er riss die Augen auf und sah, wie das Wasser von seiner Nase und seinem Kinn in die Badewanne troff. Es hörte nicht auf, und er musste husten, und als er mit der Brust gegen den Wannenrand schlug, erkannte er, dass er vor der Wanne kniete. Das Wasser floss kalt um das taube Gefühl in seinem Kopf herum. Obwohl er jetzt merkte, dass es Wasser war, spürte er es nicht wirklich. Er sah zu, wie es über das weiße Porzellan floss, und als er Spuren von Rot darin entdeckte, erinnerte er sich wieder.
    Er hatte auf dem Bett gesessen. Er hatte sich die Pistole gegen die Schläfe gepresst. Er hatte abgedrückt, und im selben Moment war gegen die Wohnungstür gehämmert worden, und das Hämmern hatte ihn so erschreckt, dass er zur Diele hingesehen hatte, und er erinnerte sich noch an die schnelle Hitze des Schusses an der Schläfe, und von da an wusste er nichts mehr.
    »Ich bin gerade noch rechtzeitig da gewesen«, sagte Julika.
    Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Es war ein so jäher Schmerz, dass er ihn fast zerriss. Er klammerte sich an den Wannenrand. Sim.
    »Ruhig«, sagte Julika und stellte die Dusche ab. »Kommen Sie hoch, ich muss Sie verarzten.« Als das Wasser nicht mehr über seinen Kopf strömte, wurde Van Leeuwen schwindlig. Er spürte nicht, wieer stürzte, nur dass er auf einmal lag. Der Löwenfuß der Badewanne war dicht neben seinem Kopf. Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten. Das taube Gefühl drückte auf die Lider, und er hoffte, dass er viel Blut verloren hatte. So viel, dass er

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