Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
dafür bezahlt, für den Fall, dass jemand meine Gespräche mitschneidet. Aber ein Hinterhalt ergibt keinen Sinn. Ich bin nicht der einzige Polizist, der an der Aufklärung der Morde arbeitet. Jeder weiß das.
Schließlich dachte er: Das Messer ist das entscheidende Beweismittel, das uns bisher gefehlt hat. Wenn es doch da ist, muss ich es holen, und zwar sofort.
Er wählte die Handynummer des Commisaris. Auch diesmal ging niemand ran. Gallo stand auf, steckte das Handy ein und ging in den Wohnraum, um die Musik auszuschalten und seine Pistole zu holen.
Julika Tambur hörte den gedämpften Klingelton ihres Handys und tastete sich im Dunkeln zur Schlafzimmertür, wo ihr Sakko lag. Sie holte das Handy aus der Seitentasche und meldete sich leise. »Ja?«
»Julika, Ton hier.« Gallos Stimme war so laut in der Stille, dass Julika unwillkürlich das Gerät vom Ohr weghielt. »Weißt du, wo der Commissaris ist? Ich versuche schon den ganzen Tag, ihn anzurufen.«
»Er schläft«, sagte Julika.
»Woher weißt du das?«
»Ich bin bei ihm.«
»Du bist in der Wohnung des Commissaris? Was machst du da?« »Seine Frau ist gestorben.«
»Ich weiß.« Gallo schwieg einen Moment, in dem nur das Geräusch eines laufenden Motors erklang. »Wie geht es ihm?«
»Es geht so«, sagte Julika.
»Was sagst du? Ich bin im Auto unterwegs. Ich verstehe dich nur schlecht.« Ein Rauschen lief durch die Leitung, als führe Gallo unter einer Brücke durch oder in einen Tunnel. »Hör mal, wenn er aufwacht und ansprechbar ist und zuhören kann, dann sag ihm, dass sich jemand gemeldet hat, der in der Nacht, als Amir ermordet wurde, in der Nähe des Hausboots war. Der Anrufer sagt, er hat gesehen, wie der Täter das Messer weggeworfen hat. Er hat es gefunden undversteckt. Ich fahre zu der Stelle, die er mir beschrieben hat. Oder sie.«
»Er oder sie?«, fragte Julika beunruhigt.
»Es war ein Kind ...«, sagte Gallo, und dann wurden ein paar Worte von Knistern und Rauschen verschluckt, »... im Tunnel nach Noord ...«
»Ein Kind? Wann hat es angerufen?«, fragte Julika. »Ton ... Wo ist das Versteck?«
»Auf der ehemaligen Baustelle, da wo der Commissaris den Hund gefunden hat. Es ist in einem ...«
Einige Herzschläge lang war die Verbindung ganz tot.
»Ton?! Du kannst da nicht allein hinfahren«, rief Julika. »Ton – Ton ?! Das könnte eine Falle sein!«
Für einen kurzen Augenblick kam Ton zurück, ganz klar und deutlich. »Eine Falle, von der man weiß, ist keine Falle mehr, oder?« »Ton, warte, ich ruf die Bereitschaft an!«
»Nein ... nicht nötig ... Ich pass schon auf ...«
»Ton ...«
Sie hörte nichts mehr, kein Verkehrsrauschen im Tunnel, keinen Motorlärm. Nur Stille.
Der Commissaris richtete sich auf, plötzlich wieder nüchtern und bei klarem Verstand. Er war eingenickt, aber das leise Klingeln hatte ihn geweckt. Er hatte Julikas Hälfte des Gesprächs mitgehört, und mehr brauchte er nicht zu erfahren. »Gib mir die Pistole, Brigadier«, sagte er. »Wo ist meine Luger?«
Julika sah ihn an, das Handy noch in der Hand. Es war dunkel im Zimmer, aber er konnte in ihrem Gesicht lesen, ohne dass er es sah. »Ich mache keine Dummheiten«, sagte er. »Jedenfalls nicht heute Nacht.«
Sie nickte und ging in die Küche, während er sich ein frisches Hemd und eine saubere Hose anzog. Er legte sein Schulterhalfter an, und als er es zugeschnallt hatte, kam Julika mit der Luger zurück. Sie drückte sie ihm in die Hand, ohne ihn dabei anzusehen. Er hielt sie einen Moment, fühlte ihr Gewicht. Er ließ das Magazin aus dem Griff springen, um zu überprüfen, wie viele Kugeln noch im Magazinwaren. Dann drückte er das Magazin in den Griff zurück, und in diesem Moment, in diesem kurzen Moment, als das metallische Schnappen noch nicht ganz verklungen war, spürte er die Versuchung: Jetzt, tu es jetzt, egal, was du gesagt hast, ein Schuss, und alles ist für immer vorbei!
Er hob die Pistole, und jetzt sah Julika ihn an.
Er schob die Luger in das Schulterhalfter, griff nach seinem Sakko und sagte: »Wenn wir Glück haben, ist es noch nicht zu spät.«
Auf der Brücke über den Kanal und die mehrspurige Stadtautobahn hinter dem IJ-Tunnel punktierten stehende und hängende Ampeln die Nacht mit roten, gelben und grünen Löchern. Weißes Licht fiel auf blaue Verkehrsschilder und schwarzen Asphalt, und das war alles, was Noord um diese Zeit zu bieten hatte. Hinter der Brücke fuhr Gallo langsamer. Die Straßenlaternen standen
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