Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Julika. »Er rechnet damit, dass es eine Falle ist.«
»Warum ist er dann allein hingefahren? Warum hat er nicht auf mich oder auf dich gewartet oder jemanden von der Bereitschaft mitgenommen?«
Julika beschleunigte, schaltete und beschleunigte weiter. Die Reifen winselten, als sie eine Kurve zu eng nahm. Das Quietschen des Gummis wurde von der Tunnelröhre zurückgeworfen. Die weißen Streifen an den Wänden flogen auf den Wagen zu wie Leuchtspurgeschosse.
»Warum er Sie oder mich nicht mitgenommen hat?«, rief Julika. »Ist das wirklich eine Frage? Und die Kollegen von der Bereitschaft hat er nicht informiert, weil er sich nicht lächerlich machen wollte – mitten in der Nacht eine Tatwaffe auf einer Baustelle zu suchen, weil ein streunendes Kind ihn angerufen hat ... Wie lange sitzen wir jetzt schon an dem Fall? Und haben wir irgendwelche Fortschritte gemacht, was die Beweislage angeht? Wir haben viele einander widersprechende Aussagen und genauso viele Theorien, die uns nicht einen Schritt näher an eine Verhaftung gebracht haben. Im Gegenteil, wir mussten den mutmaßlichen Täter sogar wieder auf freien Fuß setzen!«
Sie bremste ab, blinkte und steuerte den Wagen schlingernd die Ausfahrt hinauf. »Wir stehen alle unter Druck deswegen, unter mörderischem Druck! Und jetzt bietet sich plötzlich die Möglichkeit, an die Tatwaffe zu kommen, aus heiterem Himmel und nur vielleicht, ganz vielleicht , aber trotzdem, es ist die Chance, endlich den Durchbruch zu erzielen – die Tatwaffe, Fingerabdrücke, das Blut des oder der Opfer! Soll ich Ihnen was sagen?! Wenn ich den Anruf heute Nacht gekriegt hätte, ich hätte auch nicht gewartet, bis ich irgendjemanden aufgetrieben habe, der mit mir kommt ...«
»Bei dir wundert mich das nicht im Geringsten«, brummte der Commissaris. »Aber Ton ist ein erfahrener –«
»Was hätte der Mörder denn davon, wenn er Ton auflauern würde, um ihn zu töten?! Er weiß doch, dass wir –« Das Klingeln ihres Handys schnitt ihr das Wort ab. Sie runzelte die Stirn und sagte: »Können Sie mal drangehen? In meiner Seitentasche, rechts. Vielleicht ist er das.«
Van Leeuwen griff unter dem Sicherheitsgurt hindurch in die Tasche ihrer Denimjacke, holte das Handy heraus und meldete sich: »Apparat Julika Tambur, hallo?«
»Commissaris, sind Sie das?«, rief eine ferne, aber gut gelaunte Stimme ihm ins Ohr.
»Remko?«, fragte der Commissaris überrascht.
»Ja, natürlich. Ich habe Sie schon überall gesucht. Was machen Sie denn mitten in der Nacht an Julikas Handy?«
»Ist das Remko?«, fragte Julika, und tatsächlich, sie lächelte. Sie lächelte, während sie schaltete, Gas gab, bremste und wieder Gas gab. »Konzentrier dich auf die Straße«, sagte Van Leeuwen.
»Na, egal – ich bin da jedenfalls auf etwas gestoßen, das Sie interessieren könnte«, sagte Inspecteur Vreeling, und in seiner dunklen Stimme klang so viel karibische Energie mit, dass nur noch ein paar Steeldrums fehlten, um das Bacardi Feeling komplett zu machen. »Ich sitze hier nämlich gerade an einem Computer des MI 6, das ist der britische Auslandsgeheim–«
»Ich weiß, was der MI 6 ist.«
»Sie haben doch nach dieser indischen Firma gefragt – Sharma & Sons , oder?«
»Richtig. Und?«
Remko gluckste stolz, und einen Moment lang sah Van Leeuwen den Inspecteur vor sich, wie er allein in einem abgedunkelten Computerraum saß, das anziehende dunkle Gesicht beleuchtet vom Widerschein eines Bildschirms, auf dem er alle Polizeiaktivitäten und alle Geheimoperationen sämtlicher Sicherheitsdienste aufgerufen hatte. »Sie würden sich wundern, was es heutzutage für Methoden gibt, jederzeit alles über jeden herauszufinden. Deswegen war ich ja auf dem Seminar, zu dem der Hoofdcommissaris mich geschickt hat. Wie auch immer, wir arbeiten hier Tag und Nacht an diversen Gefährdungsszenarien, und seit dem Anschlag in der U-Bahn vor ein paar Wochen interessiert uns besonders der Lieblingssprengstoff international operierender Terroristen –«
»Komm zur Sache«, sagte Van Leeuwen. Er hielt sich mit der freien Hand am Türgriff fest, weil der Wagen mit quietschen-den Reifen in den Johan van Hasseltweg bog. »Wir sind gleich da.«
Remko sagte: »Ich konzentriere mich also auf die neueste Variante von Semtex: Wer stellt das Zeug her, wer exportiert es, wer importiert es, von wo nach wo verläuft der Weg and so on . Und dabei bin ich auf einen Radschiv Sharma in Amsterdam gestoßen, von Sharma & Sons , der
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