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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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früh, aber das Gewitter der vergangenen Nacht hatte nur vorübergehende Abkühlung gebracht. Obwohl die Sonne auf der anderen Seite des Gebäudes stand, lag ihr Licht blendend hell auf den Fassaden der gegenüberliegenden Häuser.
    »Sechsundzwanzig Morde hatten wir im letzten Jahr«, sagte der Hoofdcommissaris, »neunzehn im Jahr davor und davor einunddreißig. Dieses Jahr sind es schon achtzehn – mit diesem Inder in Noord, wie war noch sein Name? – Amir Singh. Bis vor Kurzem waren es nur Einwanderer, die von anderen Einwanderern getötet wurden, die meisten waren Opfer von Verteilungskämpfen auf dem Drogenmarkt, von Bandenkriegen. Aber neuerdings sterben auch Amsterdamer auf offener Straße ... Du meine Güte, inzwischen ist jeder dritte Einwohner Amsterdams zugewandert, und es gibt Viertel, in denen mehr Ausländer als Niederländer leben.«
    Van Leeuwen schwieg und betrachtete den Rücken seines Vorgesetzten, der so dünn war, dass ein Reiherbein einen breiteren Schatten geworfen hätte. Der marineblaue Stoff der Uniform schien die Hitze förmlich aufzusaugen. Das Gold auf Ärmeln und Schulterstücken ließ die schräg einfallenden Sonnenstreifen noch greller wirken, als sie waren.
    »Achtzehn Morde in diesem Jahr«, fuhr Joodenbreest fort, »davon erst vier aufgeklärt. Warum hast du dich in die Ermittlungen der Kollegen in Noord eingemischt? Ist dieser Tote etwas Besonderes?«
    »Jeder Tote ist etwas Besonderes«, sagte der Commissaris. »Ichhabe es nicht als Einmischung betrachtet. Ich war in der Stadt unterwegs, und als ich die Meldung im Polizeifunk gehört habe, bin ich einfach hingefahren –«
    »In der Stadt unterwegs, um zwei Uhr morgens«, sagte der Hoofdcommissaris seufzend. Endlich drehte er sich um. »Wie lange ist es jetzt her, dass du Simone in das Heim gebracht hast?«
    »Sieben Monate«, antwortete Van Leeuwen. Plötzlich schob sich etwas zwischen ihn und Joodenbreest wie eine getönte Scheibe; er mochte es nicht, wenn der Hoofdcommissaris über seine Frau sprach. Joodenbreest sah ihn durch die getönte Scheibe an und sagte: »Du bist nicht der Einzige, der leidet.«
    Van Leeuwen schwieg.
    »Ich leide auch«, fuhr Joodenbreest unbeirrt fort. »Du denkst wahrscheinlich, dein Leid sei einzigartig, unvergleichlich, aber ich sage dir, auf meine Weise leide ich genauso wie du oder wie einer dieser Hungernden in Äthiopien, falls das gerade das Katastrophengebiet du jour sein sollte. Weil daraus nämlich das ganze Leben besteht, Bruno, dass jeder Mensch die Leidensebene findet, die seinen persönlichen Bedingungen entspricht, und auf der quält er sich herum, ohne dass irgendjemand ihm helfen kann.«
    »Gibt es davon auch Diagramme?«, fragte Van Leeuwen.
    Joodenbreests porzellanglatte Miene bekam einen kaum sichtbaren Sprung. »Ach übrigens, warum hast du meine E-Mail nicht beantwortet?«, fragte er mit einer Stimme, die trotz der Hitze plötzlich frostig klang.
    »Ich lese lieber Briefe«, sagte Van Leeuwen.
    »Ich will dir überhaupt nicht schreiben müssen, aber deine dienstliche Bewertung deiner Mitarbeiter ist überfällig«, sagte der Hoofdcommissaris mit schmalen Lippen. »Ich habe das Punktesystem nicht eingeführt, um es von dir torpedieren zu lassen. Vor allem will ich wissen, wie sich Brigadier Tambur macht, seit sie mit dir arbeitet.«
    »Sie hat ihre persönliche Leidensebene gefunden«, sagte Van Leeuwen.
    »In den Berichten der anderen Dienststellen war jedenfalls nicht viel Gutes über sie zu lesen.«
    »Ich bin den Berichten auf den Grund gegangen«, sagte Van Leeuwen. »Sie ist im Grunde eine gute Polizistin – oder könnte eine werden, wenn sie ihre Stimmungen in den Griff bekommt. Auf den anderen Dienststellen wurde sie gemobbt, weil sie ein paar Spielchen nicht mitmachen wollte, die ihre Kollegen sich für sie ausgedacht hatten. Ihr Vater ist Alkoholiker. Sie lebt in einer ziemlich miesen Gegend, in Bijlmermeer, um in seiner Nähe sein zu können. Er hat ihre Mutter und ihre Schwester bei einem Autounfall getötet, und manchmal wird er rückfällig und ruft sie an, und dann braucht sie jemanden, der ein Auge auf sie hat, aber sie fügt sich gut ein. Ton mag sie, und Inspecteur Vreeling hat inzwischen auch gelernt, sie in Ruhe zu lassen.«
    »Ich will, dass sie hin und wieder ihre Uniform anzieht«, sagte Joodenbreest. »Ich will, dass ihr alle euch daran erinnert, was Yeats geschrieben hat: Hätte ich die reich gestickten Himmelstücher, gewirkt aus goldenem und silbernem

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