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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gesehen? Welcher von beiden hatte einen roten Wagen gefahren und den Drahtzaun gestreift? Oder, dachte Van Leeuwen, waren die Lacksplitter schon vorher dort gewesen, versteckt im Gras der Böschung, und hatten mit dem Mord gar nichts zu tun?
    Vielleicht sollte ich mit dem roten Wagen beginnen, überlegte er. Er stellte sich vor, wie der Wagen sich langsam auf dem Nieuwendammerdijk näherte: magentarot im Licht der schwankenden Bogenlampen. Der Fahrer schien etwas zu suchen. Als er das Boot entdeckte, steuerte er den Wagen an den Zaun und parkte im Schatten eines hohen Gestrüpps, dicht hinter einem unbeleuchteten Wohnmobil. Er blieb am Steuer sitzen und beobachtete das Boot, wartete.
    Plötzlich tauchte ein Mann auf dem Deck auf. Er taumelte auf den Bootssteg zu, blieb schwankend stehen und tastete sich dann am Geländer entlang über den Steg an Land. Als er in den Lichtkreis einer Bogenlampe geriet, konnte man sehen, dass er voller Blut war. Blut auf seinem Gesicht, auf dem Hals, der Brust, den Händen. Und mit jedem Schritt, jeder Berührung der Hände ließ er etwas von dem Blut zurück, auf dem Geländer und dem Steg und dem Asphalt.
    Der Fahrer des roten Wagens am Zaun öffnete die Tür und stieg aus. Erst langsam, dann immer schneller lief er das kurze Stück über den Weg auf den blutenden Mann zu. Der Mann – Amir – blieb stehen und starrte dem Fahrer wie gelähmt entgegen, bis er ihn erkennen konnte. Als er sah, um wen es sich handelte, drehte er um und lief zurück auf das Boot, ließ einen Halbkreis roter Spritzer und blutiger Turnschuhabdrücke hinter sich auf dem Asphalt zurück. Aber der Fahrer des Wagens folgte ihm, rannte ihm nach über den Steg und auf das Boot, und da verschwanden sie für einen Moment aus Van Leeuwens Sicht, bis er sie im Inneren wiederfand, auf der Treppe zum Kielraum, die Amir fast hinunterstürzte, während der Fahrer ihm dicht auf den Fersen war.
    Plötzlich blieb der Fahrer zurück, denn er hatte im Dunkeln etwas glitzern sehen, ein Messer mit einer kurzen Klinge, gleich bei der obersten Treppenstufe. Er bückte sich, hob es auf, und darauf verlor Van Leeuwen ihn erneut aus dem Blickfeld, denn stattdessen sah er Amir, der sich in die dunkelste Ecke des Kielraums geflüchtet hatte. Doch der Mörder fand ihn auch dort und ging geradewegs auf ihn zu, und als er bei ihm war, packte er mit der linken Hand sein Kinn und drückte es nach oben, und mit dem Messer in der rechten schnitt er ihm die Kehle durch, ein einziger schneller, heftiger Schnitt von rechts nach links, genau wie der Pathologe gesagt hatte.
    Das führt zu nichts, dachte der Commissaris, es kann so oder anders gewesen sein, es gibt noch zu viele Möglichkeiten. Er musste warten, bis er mehr wusste.
    Ein Blitz erhellte die Nacht. Krachend brach sich Donner über den Dächern, und gleich danach schlug Regen gegen das Fenster. Ein kühler Luftzug wehte durch den offenen Spalt. Der Commissaris trat näher ans Fenster, um den Geruch des Regens einzuatmen. Eine Zeit lang stand er nur so da in der dunklen Küche und sah den Blitzen und dem Regen zu. Er schlief im Stehen. Als er einige Sekunden später erwachte, ging er ins Bett, denn er wusste, dass er jetzt endlich schlafen konnte.

6
    Hoofdcommissaris Jaap Joodenbreest stand mit dem Rücken zur Tür am Fenster von Bruno van Leeuwens Büro und spähte durch die Ritzen in der Jalousie auf die Straße vor dem Präsidium. Trotz der Hitze hatte er seine marineblaue Uniform bis zum Hals zugeknöpft. Das Gold der Rangabzeichen auf den Schulterstücken der Uniformjacke schimmerte matt.
    »Hast du dich schon mal gefragt, warum alle diese Menschen hier sind?«, fragte er, ohne den Blick von seinem kleinen Ausschnitt Amsterdams vor dem Fenster zu lösen. »Wieso kommen sie von überallher in unsere Stadt?«
    Van Leeuwen wusste, dass der Hoofdcommissaris sich in diesem philosophisch gestimmten Moment wahrscheinlich wünschte, von einem höheren Stockwerk aus auf die Dächer der Stadt hinuntersehen zu können. Sieh her, für das alles trage ich die Verantwortung, für all diese Menschen in den Straßen dort unten. Aber sein Büro lag nur im ersten Stock, genauso wie das von Van Leeuwen.
    »Aus Afrika, aus China, Indonesien, Surinam, Sri Lanka, Thailand und jetzt auch noch Indien«, fuhr der Hoofdcommissaris fort. »Sie kommen hierher, auf der Suche nach ein bisschen Glück, einem besseren Leben, und dann werden sie ermordet.«
    »Nicht alle«, sagte Van Leeuwen.
    Es war noch

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