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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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verdient?!«
    Ten Damme schob die Pfeife zwischen die Zähne, saugte geräuschvoll am Stiel und paffte eine würzig riechende Rauchwolke an die Decke. »Wissen Sie, was Jean Paul gesagt hat?«, fragte er. »Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Kommt einem vor wie ein Hohn, nicht? Das war zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals kannte man Alzheimer noch nicht.«
    Van Leeuwen sagte: »Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, tutmir das Herz so weh, dass ich das Gefühl habe, es würde zerquetscht, einfach vom Gewicht der Luft.« Er schüttelte sich. »Wie werden die anderen Angehörigen damit fertig?«
    »Unterschiedlich, aber viele sind genauso wütend wie Sie.« Der Direktor der Klinik deutete auf den Besuchersessel vor seinem Schreibtisch. »Setzen Sie sich doch.«
    »Ich stehe lieber.«
    »Ach, richtig, stimmt.« Ten Damme setzte sich auf die Kante der mit Papieren, Schnellheftern und Stiften übersäten Schreibtischplatte. »Tja, die Hoffnung – daher rührt die ganze Wut. Und von den Schuldgefühlen. Sie haben ihre Eltern oder Partner hierhergebracht, weil sie mit der Pflege zu Hause überfordert waren, und obwohl sie keine andere Wahl hatten, fühlen sie sich schuldig. Sie denken, sie hätten sich ihrer Verantwortung entzogen, dabei haben sie tatsächlich sehr verantwortungsvoll gehandelt. In dem Sinn ist Verantwortung nämlich die schöne Seite der Schuld, denn sie steht nicht für Angst und Qual, sondern für Mitgefühl. Richtig betrachtet bedeutet Verantwortung, dass wir unsere Instinkte mit Vernunft bereichern. Also statt dem instinktiven Wunsch nachzugeben, die uns An-vertrauten selbst zu beschützen, handeln wir vernünftig, indem wir diese Aufgabe denen übertragen, die darauf besser vorbereitet sind.«
    »Sie erkennt mich nicht mehr«, sagte Van Leeuwen. »Als sie zu Hause wohnte, hat sie mich wenigstens noch erkannt. Jetzt erzählt sie mir, dass ihr Mann kommt, und sie sitzt da mit einem leeren Koffer.«
    »Das ist nicht so schlecht, wie es Ihnen vielleicht vorkommt. Je weiter die Krankheit fortschreitet ... Kurz vor dem Ende drehen sich die Erinnerungen fast ausschließlich um die Kindheit.«
    »Wir waren beide noch Kinder, als wir uns kennengelernt haben, zu Hause im Dorf.«
    »Sie spricht manchmal von einem Dorf«, sagte der Arzt. »Und von einem Laden, in den sie gehen muss.«
    »Das war der Krämerladen ihrer Eltern. Sie half dort aus, nach der Schule.«
    »Und dann hat sie ein paarmal einen Namen genannt. Sandro . Ich glaube, es war Sandro. «
    Van Leeuwen spürte, wie sein Herzschlag schneller wurde. »Das ist jemand«, sagte er und wunderte sich, dass seine Stimme immer noch ruhig klang, »der Briefe schreibt.«
    Ten Damme hüllte sich in eine weitere Wolke von Tabakrauch, der wie Nebel durch das Licht der Lampe trieb. »Hat sie Ihnen denn eben etwas gesagt?«, fragte er. »Ich hatte den Eindruck, sie wollte Ihnen unbedingt etwas sagen.«
    »Koffer«, sagte Van Leeuwen. »Das war alles: Koffer.«
    »Koffer? Einfach nur Koffer ? Haben Sie eine Vorstellung, was das bedeuten könnte?«
    »Es kann alles Mögliche bedeuten«, sagte Van Leeuwen und dachte, in ihrem Koffer waren die Briefe . »Einen kurzen Augenblick hatte ich den Eindruck, sie könnte sich erinnern ...«
    »Woran erinnern? An etwas Bestimmtes?«
    »An den Mann mit dem Namen Sandro, dessen Briefe sie in einem Koffer vor mir versteckt hat.«
    Ten Damme schwieg; er schien zu verstehen.
    »Sie ist manchmal ohne mich verreist«, fuhr Van Leeuwen fort, obwohl er es eigentlich nicht wollte. »Sie hat ihn in Italien kennengelernt, in Siena. Sie hatten eine Affäre, die sie beendet hat. Eine Zeit lang hat er ihr noch geschrieben ... und sie ihm.«
    »Und sie wusste, dass Sie die Briefe gefunden haben?«
    »Als ich sie gefunden habe, war sie schon ... war sie schon so, wie sie jetzt ist. Es ist erst ein knappes Jahr her. Sie hat nie erfahren, dass ich es weiß.«
    »Das heißt, Sie konnten auch nie mit ihr darüber reden?«, fragte Ten Damme.
    »Nein.«
    Plötzlich sah Van Leeuwen sich wieder in der Abstellkammer über den Koffer gebeugt. Es war der Koffer seiner Frau, den er nie zuvor geöffnet hatte, erst jetzt, als sie ihn nicht mehr selbst für ihre Reise packen konnte. Er hatte ihn geöffnet, und da waren die Briefe gewesen, nicht einmal wirklich versteckt, nur ohne Umschlag undAbsender in ein großes Kuvert gestopft. Briefe auf Italienisch, die er nicht verstand, bis auf die Anrede, cara ,

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