Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
wüsste es nicht ... ich hätte selbst nichts mehr von Amir gehört ..., hat er mir gedroht, wenn ich ihn anlüge oder wenn ich mit jemandem über ihn und Amir spreche –«Sie hielt inne, als hätte sie den Faden verloren. Sie griff in die Wildledertasche, kramte darin herum und holte ihr Handy heraus. Stirnrunzelnd betrachtete sie das Display, und Van Leeuwen konnte sehen, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Es war fast genauso wie vor ein paar Tagen, als er in der Videothek mit ihr gesprochen hatte. Sie hatte auf das Handy gestarrt und war zugeklappt wie eine Auster. »Was haben Sie?«, fragte er. »Was sind das für Nachrichten, die Sie dauernd kriegen?«
»Das ist von ihm«, antwortete sie leise. »Er beobachtet uns.« »Wer?«
»Der Mann, über den wir geredet haben. Er beobachtet mich die ganze Zeit. Er weiß, dass Sie hier sind. Dass wir miteinander sprechen.« Sie hielt dem Commissaris das Handy hin, sodass er die S M S auf dem Display lesen konnte: Pass auf, mit wem du redest. Denk dran, was mit Amir passiert ist.
»Beim ersten Mal dachte ich, es wäre ein Zufall«, sagte Carien. »Aber jetzt – das hier –, jetzt weiß ich, dass er uns beobachtet – Sie oder mich! Er hat gesagt, wenn ich mit jemandem rede, bringt er mich um. Er kann das, hat er gesagt, und niemand, niemand wird ihm irgendeine Frage stellen.«
Die Schritte auf dem Gang waren jetzt ganz nah.
»Warum haben Sie mir das nicht vorher gesagt?!«, fragte der Commissaris.
»Ich hatte Angst!« Cariens Stimme überschlug sich fast, während sie mit hektisch hin und her zuckendem Daumen einige Knöpfe auf dem Handy drückte. »Haben Sie schon mal jemanden verloren, den Sie mehr geliebt haben als alles andere?«
Van Leeuwen schwieg.
Carien warf das Handy zurück in die Tasche. Sie wirkte jetzt völlig durcheinander. »Dieses Schwein – seinetwegen hat Amir wieder angefangen zu spritzen. Weil er Angst hatte, ausgewiesen zu werden. Alles war gut, bis dieser Scheißkerl aufgetaucht ist, und jetzt ist Amir tot, und unser Kind hat keinen Vater, und ich habe keinen Mann, und ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich hier noch soll, ich könnte genauso gut – ach, Scheiße!«
Van Leeuwen sagte: »Wenn ich Ihnen ein Foto von dem Mann zeigen könnte, meinen sie, Sie würden ihn wiedererkennen?«
Carien nickte heftig. »Als er in der Nacht von Amirs Tod noch einmal wiederkam, hat er mich geschlagen. Nicht schlimm, nur eine Ohrfeige, damit ich ihm mein Handy gebe. Dabei ist seine Sonnenbrille runtergefallen.«
»Das haben Sie mir auch nicht gesagt. Sie sind sehr dumm, Mevrouw. Was wollte er mit dem Handy?«
»Er wollte die letzten Nummern sehen. Er meinte, damit könnte er rauskriegen, von wo aus Amir angerufen hat, weil es kein Handy war, verstehen Sie, es war ein Apparat mit Festnetzanschluss. Er sagte, er müsste ihn finden, bevor die es täten. Er wollte ihm helfen, sagte er.«
Van Leeuwen versuchte sich zu erinnern, ob er auf dem Hausboot einen Telefonapparat gesehen hatte. »Carien, ich muss Sie bitten, morgen früh ins Hoofdbureau zu kommen. Ich möchte Ihre Aussage zu Protokoll nehmen, damit ich sie schriftlich habe, und ich möchte Ihnen ein paar Fotos zeigen.«
Die Schritte hörten auf, Schritte zu sein, denn ein Mann betrat die Koffiekamer. »Mevrouw Dijkstra? Wollen Sie die Urne des Verstorbenen abholen oder zugeschickt bekommen? Es dauert ja ein paar Tage ...«
»Abholen«, antwortete Carien. Als der Mann wieder gegangen war, blickte sie Van Leeuwen müde an. »Ich möchte jetzt gern gehen, Commissaris, wenn ich darf.«
»Natürlich«, sagte Van Leeuwen. »Möchten Sie, dass ich Sie begleite?«
»Nein danke, ich bin mit dem Fahrrad hier. Ich nehme die Fähre zurück.«
Van Leeuwen sagte: »Ich kann jemanden abstellen, einen Beamten, der Sie beschützt, bis wir Amirs Mörder gefasst haben.«
Carien schüttelte nur den Kopf, dann folgte sie dem Angestellten des Krematoriums langsam zur Tür. Ehe sie den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um. »Sie haben mir noch nicht geantwortet, Commissaris«, sagte sie, jetzt wieder ganz gefasst. »Sie stellen mir eineFrage nach der anderen, und ich soll sie alle beantworten, aber wenn ich Ihnen eine Frage stelle, antworten Sie nicht. Haben Sie schon mal jemanden verloren, den Sie mehr geliebt haben als alles andere?«
»Ja«, antwortete Van Leeuwen.
17
Es war ein ergiebiger Tag gewesen, dachte er, als er am Abend nach Hause kam. Er hatte sein Netz ausgeworfen und wieder
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