Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Fenster in eine opake rötliche Schicht verwandelte. Die junge Halbinderin sprach leise, eindringlich.
»Wie können Sie das wissen?«, fragte Carien, während Tränen des Zorns hinter ihren Lidern auf die Augen drückten. »Wenn er es nicht war, wer dann?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, flüsterte Mira. »Ich möchte nur, dass hier, an diesem Ort, wo Amir von der Welt Abschied nimmt, kein falscher Verdacht auf meinem Mann liegt. Er ist unschuldig, so unschuldig wie Sie und ich –«
»Das können Sie mir nicht sagen ?«, fragte Carien und atmete einmal scharf aus und wieder ein. »Sie bringen es nicht über die Lippen, aber Sie wissen es –«»Radschiv war es nicht«, wiederholte Mirabal beschwörend, »hören Sie auf, ihn zu beschuldigen!«
Die Sonne verschwand hinter dem Dachfirst eines Gebäudes draußen vor dem Fenster, und der Staub auf der Scheibe hörte auf zu blenden. Mirabal ging zu dem alten Mann zurück, der starr und gerade in der Mitte des Gangs stand und Carien mit seinen grünen Augen anstarrte, nicht zornig, eher verletzt.
»Ich glaube Ihnen nicht!«, rief Carien ihr nach. »Sie haben Amir auf dem Gewissen. Sie haben ihn getötet, Sie alle! Das weiß ich genau, und ich werde es beweisen!«
Der Gewürzhändler und seine junge Geliebte eilten mit versteinerten Mienen zum Ausgang. Jetzt trat der Commissaris hinter der Ecke des Gangs hervor und ging langsam zu Carien. Als er bei ihr war, sagte er: »Das ist ein schönes Kleid. Es hätte Amir bestimmt gefallen.«
Carien schien ihn nicht sofort zu erkennen, und sie schien auch nicht zu merken, dass sie weinte. Fahrig griff sie nach dem Saum des Kleids, hob ihn an, wie um das Material zu prüfen, und ließ ihn wieder fallen. Sie schüttelte den Kopf. Dann nickte sie.
»Wie wär’s mit einem Kaffee?«, fragte Van Leeuwen. »Ich lade Sie ein.« Er ging voran in die Koffiekamer, in der sich außer ihnen niemand aufhielt. Die Theke war nicht besetzt, aber es gab eine Espressomaschine hinter dem Tresen. »Schwarz oder mit Milch und Zucker?«
»Mit Milch und Zucker«, antwortete Carien. »So hat Amir ihn immer getrunken.«
Der Commissaris trat hinter den Tresen, schaltete die Maschine ein und öffnete alle Schränke, bis er gemahlenen Kaffee fand, den er in den Filterbehälter schüttete. Carien holte eine Jeansjacke aus der Wildledertasche und legte sie sich um, denn es war kühl in der Cafeteria. Sie zitterte. »Woher wussten diese Leute ...? Haben Sie es Ihnen – haben Sie ihnen gesagt, wann ... dass Amir heute eingeäschert wird?«
»Ja.«
»Aber warum? Warum haben Sie das getan?«
Van Leeuwen schob den Filterbehälter unter die Kaffeedüse. »Ich wollte, dass sie die Frau sehen, die er vor ihnen verheimlicht hat. Dass Radschiv Sharma und seine junge Freundin ein Bild von Ihnen bekommen, weil sie dann vielleicht eher die Wahrheit sagen.«
»Und Sie? Warum sind Sie gekommen?«
»Weil ich noch ein paar Fragen habe«, sagte der Commissaris. »Versuchen Sie, sich genau an den Mann zu erinnern, der vor vier Wochen in Ihren Laden gekommen ist«, sagte Van Leeuwen. »Er war groß, er trug eine Baseballkappe und eine Sonnenbrille, aber an was erinnern Sie sich noch? Wie war seine Körperhaltung? Sie haben gesagt, er hatte ein Bärtchen.« Er sah auf die Temperaturanzeige, überprüfte, ob das Wasser im Boiler der Maschine heiß war, bevor er den Handhebel langsam herunterzog. »Können Sie sich an den Klang seiner Stimme erinnern?«
»Leise«, sagte Carien, »seine Stimme war leise. Er ließ seine Schultern hängen, aber es stimmt , er war groß und ließ wohl deswegen die Schultern so hängen.« Sie nahm die Tasse, die Van Leeuwen ihr hinhielt, und betrachtete den dampfenden Espresso. »Ich meine, er hatte eine Art Bärtchen, ich habe ihn ja nur kurz gesehen. Da war was über seinem Mund, so wie bei einem Kind, wenn es beim Essen nicht aufgepasst hat –«
»Wie Senf«, sagte der Commissaris.
»Genau, so ein Streifen«, Carien nickte, »wenn er blond war, also, wenn er blonde Haare hatte, könnte das ein Schnurrbart gewesen sein.«
Er leerte den Filterkolben in die Spüle und füllte frischen Kaffee hinein. Er sagte: »Und jetzt möchte ich wissen, was er gesagt hat. Ich will, dass Sie endlich ehrlich sind. Sie tun so, als hätten Sie nicht gehört, was der Mann zu Amir gesagt hat, Sie tun sogar sich selbst gegenüber so, weil Sie sich vorwerfen, dass Sie etwas wussten und nichts unternommen haben, um Amir abzuhalten; um zu verhindern,
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